Malloreon 5 - Seherin von Kell
als wäre etwas äußerst Verwirrendes in sein Leben getreten.
»Das ist unsere gegenwärtige Einschätzung der Lage, Eure Majestät«, beendete Javelin seinen Bericht. »Kal Zakath hat seine Truppen hier in Cthol Murgos so sehr verringert, daß Ihr sie mühelos ins Meer fegen könntet.«
»Ihr könnt leicht reden, Markgraf Khendon«, entgegnete Urgit gereizt, »aber ich sehe nicht, daß ihr Alorner eure Kräfte einsetzt, um beim Fegen mitzuhelfen.«
»Eure Majestät bringt da einen etwas heiklen Punkt zur Sprache.«
Javelin mußte nun sehr rasch denken. »Wir waren uns zwar von Anfang einig, daß wir im Kaiser von Mallorea einen gemeinsamen Gegner haben, doch die Äonen der Feindschaft zwischen den Alornern und den Murgos lassen sich nicht über Nacht vergessen. Möchtet Ihr wirklich eine cherekische Flotte an Eurer Küste oder Schwadronen von algarischen Reitern auf den Ebenen von Cthan und Hagga? Die alornischen Könige und Königin Porenn erteilen natürlich die Anweisungen, aber Feldherren haben ihre eigene Weise, königliche Befehle so zu interpretieren, wie sie ihren Vorstellungen entsprechen. Auch Eure Generäle könnten sich dafür entscheiden, Eure Anweisungen mißzuverstehen, wenn sie eine Horde Alorner auf sich zukommen sehen.«
»Ja, das ist wahr«, gestand ihm Urgit zu. »Was ist dann mit den tolnedrischen Legionen? Zwischen Tolnedra und Cthol Murgos hat es immer eine gute Beziehung gegeben.«
Javelin hüstelte und schaute sich betont auffällig nach unerwünschten Zuhörern um. Er wußte, daß er jetzt besonders vorsichtig vorgehen mußte. Urgit erwies sich als viel schlauer, als irgendeiner von ihnen erwartet hatte. Tatsächlich war er manchmal glatt wie ein Aal und schien instinktiv genau zu wissen, wie Javelins fein gestimmter drasnischer Verstand funktionierte. »Das wird doch unter uns bleiben, Eure Majestät?« fragte er fast wispernd.
»Darauf habt Ihr mein Wort, Markgraf«, flüsterte Urgit zurück. »Allerdings, wer sich auf das Wort eines Murgos verläßt – und eines Angehörigen der Urga-Dynastie noch dazu – , verrät schlechte Menschenkenntnis. Murgos sind für ihre Unzuverlässigkeit berüchtigt, und alle Urgas sind von Wahnsinn belastet, wie Ihr wißt.« Javelin kaute an einem Fingernagel und befürchtete, daß er zum Narren gehalten wurde. »Wir haben beunruhigende Neuigkeiten aus Tol Honeth erhalten.« »Oh?«
»Ihr wißt doch, wie Tolnedrer sind – stets auf der Lauer nach der großen Chance.«
»Du meine Güte, ja.« Urgit lachte. »Einige meiner unvergeßlichsten Kindheitserinnerungen sind aus der Zeit, als Taur Urgas, mein unbetrauerter Vater, an den Möbelstücken zu kauen begann, sobald er den neuesten Vorschlag von Ran Borune erhielt.« »Ich möchte betonen, Majestät«, fuhr Javelin fort, »daß es keineswegs bedeuten soll, daß Kaiser Varana persönlich darin verwickelt ist, aber einige sehr hohe tolnedrische Edelleute haben Verbindung mit Mal Zeth aufgenommen.«
»Das ist wirklich beunruhigend, da habt Ihr recht. Aber Varana befehligt die Legionen. Solange er gegen Zakath ist, sind wir sicher.« »Das stimmt – solange Varana am Leben ist.«
»Denkt Ihr an die Möglichkeit eines Staatsstreichs?«
»Es wäre nichts Ungewöhnliches, Eure Majestät. Euer eigenes Reich ist Beweis genug dafür. Die großen Familien in Nordtolnedra sind immer noch erzürnt über die Weise, wie die Borunes und Anadiles gegen sie vorgingen und Varana auf den Kaiserthron gehoben haben. Falls Varana etwas zustoßen und sein Nachfolger ein Vordue oder ein Honeth oder ein Horbit sein sollte, sind alle Zusicherungen einen Pfifferling wert. Ein Bündnis zwischen Mal Zeth und Tol Honeth könnte sich als eine absolute Katastrophe sowohl für Murgos wie Alorner erweisen. Schlimmer noch, falls ein solcher Pakt geheimgehalten würde und Ihr hättet größere tolnedrische Streitkräfte hier in Cthol Murgos und sie erhielten plötzlichen Befehl, die Seiten zu wechseln, würdet Ihr in der Zange zwischen einer tolnedrischen und einer malloreanischen Armee sein. Das ist nicht gerade meine Vorstellung, wie man einen Sommer verbringt.« Urgit schauderte.
»Bevor wir weitersprechen, Eure Majestät«, fuhr Javelin glatt fort, »gestattet, daß ich kurz zusammenfasse.« Er begann an den Fingern abzuzählen. »Erstens, hier in Cthol Murgos halten sich nur noch geringe malloreanische Truppenverbände auf. Zweitens, eine alornische Streitmacht innerhalb Eurer Grenzen wäre weder notwendig noch ratsam. Ihr
Weitere Kostenlose Bücher