Malloreon 5 - Seherin von Kell
geschlurft, um seinen Tagesbericht vorzutragen. Bereits als er noch etwa zwölf Fuß vom Thronpodest entfernt war, schlug Salmissra sein unangenehmer Körpergeruch entgegen. Das war Beweis genug, daß er ihren Befehl mißachtet hatte, nie wieder ungebadet vor sie zu treten. Sie hatte ihn kalt beobachtet, als er sich auf den Marmorboden vor dem Thron warf und seinen Bericht mit schwerer Zunge vorzutragen begann. Doch zu Ende kam er damit nicht. Auf eine zischelnde Anweisung der Schlangenkönigin war eine kleine grüne Schlange schnurrend unter dem diwangleichen Thron hervorgekrochen, und Adiss hatte den gebührenden Lohn für seinen Ungehorsam erhalten.
Und nun ruhte die unsterbliche Salmissra zusammengeringelt auf ihrem Thron und bewunderte sich im Spiegel. Die ärgerliche Arbeit, einen neuen Obereunuchen zu erwählen, lag noch vor ihr, aber momentan war sie nicht in der Stimmung dazu. Sie beschloß, damit noch eine Zeitlang zu warten und den Palasteunuchen Zeit zu geben, sich um die Stellung zu raufen. Diese Raufereien endeten gewöhnlich mit einigen Todesfällen, aber es gab ja viel zu viele Eunuchen im Palast.
Ein verärgertes Fauchen war unter dem Thron zu vernehmen. Salmissras grüne Lieblingsschlange war offenbar sehr aufgebracht. »Was hast du denn, Ezahh?« fragte die Königin.
»Könntest du nicht befehlen, daß sie gewaschen sind, bevor du mich ersuchst, sie zu beißen?« nörgelte Ezzah. »Zumindest hättest du mich warnen können, was mich erwartet!« Obwohl Ezzah und Salmissra verschiedener Rasse waren, ähnelten ihre Sprachen sich so weit, daß sie, sich miteinander verständigen konnten.
»Tut mir leid, Ezahh. Das war wohl unaufmerksam von mir.« Im krassen Gegensatz zu ihrer Behandlung von Menschen, die sie alle mehr oder weniger verachtete, war die Schlangenkönigin stets ungemein höflich zu anderen Reptilien – besonders zu giftigen. Das war in der Welt der Schlangen auch ratsam.
»Es war nicht allein deine Schuld, Salmissra.« Da Ezzah ebenfalls eine Schlange war, eine männlichen Geschlechtes noch dazu, war auch er sehr höflich. »Ich wünschte nur, ich wäre diesen Geschmack im Mund los.«
»Ich könnte dir ein Schälchen Milch bringen lassen. Das würde vielleicht helfen.«
»Danke, Salmissra, aber sein Geschmack würde die Milch wahrscheinlich gerinnen lassen. Was ich jetzt wirklich gern hätte, wäre eine dicke fette Maus – lebendig, wenn möglich.«
»Ich werde mich sofort darum kümmern, Ezahh.« Sie drehte das Dreieckgesicht auf dem schlanken Hals. »Ihr!« zischelte sie einem des Eunuchenchores zu, der in Anbetung neben ihrem Thron kniete. »Fangt eine Maus. Mein kleiner grüner Freund hat Hunger.« »Sogleich, Göttliche Salmissra«, entgegnete der Eunuch unterwürfig. Er sprang auf die Füße und ging rückwärts, sich bei jedem zweiten Schritt verbeugend, zur Tür.
»Danke, Salmissra. Menschen sind so unbedeutende Kreaturen, nicht wahr?«
»Sie reagieren nur auf Furcht«, bestätigte sie, »und auf Lust.«
»Ah, das erinnert mich.« Ezzah nickte. »Bist du bereits dazu gekommen, über mein Ersuchen nachzudenken?«
»Ich habe mehrere Menschen darauf angesetzt«, versicherte sie ihm. »Aber deine Rasse ist sehr selten, weißt du, und ein Weibchen für dich zu finden könnte eine geraume Weile dauern.«
»Ich kann warten, wenn es denn sein muß, Salmissra«, schnurrte er. »Wir sind alle sehr geduldig.« Er machte eine Pause. »Das soll kein Vorwurf sein, aber wenn du Sadi nicht vertrieben hättest, müßtest du dir jetzt nicht diese Mühe machen. Wir haben uns sehr gut verstanden, seine kleine Schlange und ich.«
»Das ist mir keineswegs entgangen. Wer weiß, ob du inzwischen nicht längst Vater bist.«
Die grüne Schlange streckte den Kopf unter dem Diwan hervor und blickte sie an. Wie bei allen Schlangen seiner Gattung zog sich ein leuchtend roter Streifen den ganzen Rücken entlang. »Was ist ein Vater?« fragte er gleichgültigen Tones.
»Das ist ein für uns schwieriger Begriff«, erwiderte sie. »Aber aus irgendeinem Grund bedeutet er den Menschen viel.«
»Schert sich denn irgendeine richtige Kreatur um die abartigen Merkwürdigkeiten der Menschen?« »Ich gewiß nicht – zumindest nicht mehr!«
»Du warst im Grunde deines Herzens immer eine Schlange, Salmissra.«
»O danke, Ezahh«, sagte sie mit erfreutem Zischeln. Sie hielt nachdenklich inne, und die Windungen ihres Leibes rieben trocken raschelnd aneinander. »Ich muß einen neuen Obereunuchen
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