Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
sagen?«
James bedrängte Anthony in einem Moment, in dem dieser gar nicht mehr damit gerechnet hatte, wofür er sich einen vernichtenden Blick einfing.
»Lass mir Zeit! Schließlich haben wir es hier nicht mit einem alltäglichen Thema zu tun. Sie wird es nicht sonderlich begrüßen, wenn sie erkennen muss, dass der Mann, den sie all die Jahre für ihren Vater hielt, in Wirklichkeit gar nicht ihr Vater war.«
»Aber immerhin hat er sie großgezogen. Ihre Liebe zu ihm wird sich dadurch kaum schmälern.«
»Natürlich nicht, aber sie wird erst einmal schockiert sein, so viel steht fest. Adeline und ihr Gemahl haben Katey angelogen. Und jetzt, wo beide tot sind, ist es einzig dem Zufall geschuldet, dass die Wahrheit ans Licht gekommen ist. Die Millards haben es nicht für nötig befunden, sie davon in Kenntnis zu setzen«, beendete Anthony seine Ausführung mit angewidertem Gesicht.
James' Gefühle den Millards gegenüber gestalteten sich nicht anders. »Letitia Miliard hat zugegeben, Katey kaum zur Tür hereingelassen zu haben. Wenn ich nur daran denke, dass sie uns anfänglich nicht einmal ins Haus lassen wollte. Ein abscheuliches Weibsbild.«
Nur zu gut konnten sie sich an den Tag erinnern, an dem sie den Millards einen Besuch abgestattet hatten. Sie verbrachten nicht mehr als zehn Minuten im Haus und mussten sich erst Zugang verschaffen, weil Letitia an dem Tag selbst die Tür geöffnet hatte. Sie versuchte sogleich, sie vor ihrer Nase wieder zu schließen, und verweigerte ihnen kategorisch den Wunsch, mit ihrer Mutter zu sprechen.
Immerhin bestätigte sie, dass Katey Anthonys uneheliche Tochter sei, aber die beiden Männer wollten sie nicht beim Wort nehmen. Dazu war sie viel zu aufgebracht. Beim Anblick von Anthony lief sie puterrot an und schrie ihn an, er solle auf der Stelle wieder verschwinden. James erkannte sie nicht einmal.
James, der seine Neugier nicht mehr bezwingen konnte, fragte sie geradewegs: »Was haben Sie eigentlich gegen meine Familie?«
»Wer sind Sie denn?«
»Einer von den so verhassten Malorys.«
Wutschnaubend rief sie nach ihren Bediensteten, um die beiden entfernen zu lassen. Mit dem Ergebnis, dass der Diener bäuchlings auf dem Boden landete und der Butler das Weite suchte.
Nachdem sie Letitia zur Seite gestoßen hatten, begaben sie sich ungeachtet ihrer panischen Schreie ins Obergeschoss, um ihre Mutter aufzusuchen. Wie sich herausstellen sollte, hatte sie die Wahrheit gesagt.
Im Zimmer der alten Dame schlug ihnen der Geruch nach Medizin, Kerzenrauch und Siechtum entgegen. Die Fenster waren geschlossen, die Vorhänge zugezogen. Letitias Mutter lag so gut wie bewusstlos im Bett. Daneben saß eine junge Magd und strickte. Die junge Frau machte nicht gerade den Eindruck, als würde sie vor Sorge um Sophies Zustand vergehen. Es kam häufig vor, dass das Gesinde sich nicht um ihre Dienstherren scherte, dass sie in ihren Augen austauschbar waren und eine Stelle wie die andere war.
Es war nicht weiter verwunderlich, dass Letitia ihnen nach oben gefolgt war. Ein positiver Nebeneffekt aus Sicht der beiden Besucher war es, dass sie beim Betreten des Krankenzimmers gezwungen war, ihre Lautstärke zu drosseln. »Wehe, Sie wecken sie auf. Sie schlägt sich bereits seit einer Woche mit dieser Erkältung herum, aber ihr Körper ist zu schwach, um sie abzuwehren«, zischte Letitia. Ihr war anzumerken, wie sehr sie ihre Mutter liebte, aber es lag auch klar auf der Hand, dass sie es mit ihrer Fürsorge übertrieb, was durchaus verständlich war. Sophie war alles, was ihr geblieben war. Manchmal war Liebe jedoch auch erdrückend, und genau damit schienen sie es hier zu tun zu haben. Die stickige Luft und das verdunkelte Zimmer sprachen Bände.
»Manchmal bewirkt frische Luft regelrecht Wunder«, merkte James an.
Doch Letitia wollte nichts davon hören. »Papperlapapp, dazu ist es viel zu kalt draußen.«
»Licht hingegen kennt keine Kälte«, brummte Sophie Miliard von ihrem Bett aus.
Mit weinerlicher Stimme wusste Letitia sich umgehend zu verteidigen: »Das gedämpfte Licht hilft dir, Schlaf zu finden, Mutter, und dadurch schneller zu genesen.«
»Ich hatte mehr Schlaf, als gut für mich ist. Wenn es Tag ist, dann lass bitte Licht herein.« Sie gab der Magd ein Zeichen, die Vorhänge zurückzuziehen. »Ich möchte gern sehen, wer mir einen Besuch abstattet.«
Die alte Dame klang nicht, als stünde sie mit einem Bein im Grab. Es bestand jedoch kein Zweifel daran, dass sie krank war,
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