Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
befreite sich aus James' Griff und bedeutete Katey, sie möge zurück in die Kajüte gehen.
Seufzend nahm sie abermals ihren Platz am Esstisch ein. Woher mochte Anthonys Interesse an ihr rühren, und warum konnte es nicht bis zum nächsten Morgen warten? Am besten wäre es, wenn sie den beiden klipp und klar sagte, wie erschöpft sie war. Aber sie tat es nicht. Vielleicht hätten sie Erbarmen mit ihr, wenn sie herzhaft gähnte?
»Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte Anthony, der keine Anstalten machte, sich zu setzen, und stattdessen mit angespannter Miene wieder auf und ab lief.
»Du wolltest endlich mit der Sprache herausrücken«, half James ihm auf die Sprünge. Er hatte sich auf die Ecke des Schreibpultes gesetzt, sodass ein Bein in der Luft baumelte. Als er die Arme verschränkte, was auf Katey entsetzlich bedrohlich wirkte, wandte sie schnell den Blick ab.
»Ah, ja, ich wollte Sie gerade fragen, ob Sie trotz der elenden Schinderei eine glückliche Kindheit hatten«, sagte er, den Blick auf den Boden gerichtet.
James stöhnte.
Katey runzelte die Stirn. »Welche elende Schinderei? Wenn Sie damit auf meine Pflichten im Haushalt anspielen, kann ich Sie beruhigen. Ich habe sie gern erfüllt, gaben sie mir doch die Gelegenheit, Zeit mit meiner Mutter und später mit Grace zu verbringen. Es gehörte zu meinen Aufgaben, Gemüse anzubauen, zu ernten und das Haus in Schuss zu halten. Es gab ja sonst auch niemanden, der es hätte tun können. Alle in Gardener haben sich selbst geholfen. Mir ist bewusst, dass es in Ihren Augen entsetzlich anmuten mag. Sie führen ein ganz anderes Leben. Für uns jedoch war es normal.«
Anthony zuckte zusammen. »Ich wollte Sie nicht beleidigen, ganz bestimmt nicht.«
»Schon in Ordnung«, versicherte Katey ihm. Dann schoss ihr eine Erinnerung in den Kopf, die sie lächeln ließ. »Wie lustig. Ihre Tochter hat vollkommen anders reagiert, als ich ihr von Gardener und meinem Leben dort erzählt habe. Sie hat sich sogar beschwert, dass sie nie mithelfen dürfe.«
»Hat sie das?«
»Wenn ich es doch sage. Wie wäre es, wenn Sie ihr einen eigenen Garten zur Verfügung stellen, ehe sie zu alt dafür wird? Kinder lieben es, Pflanzen beim Wachsen zuzusehen. Zumindest war es bei mir so.«
»Aber … sie würde sich doch dreckig machen.«
Katey spürte, wie sie langsam Gefallen daran fand, mit Sir Anthonys Entsetzen zu spielen. Lachend sagte sie: »Sie glauben gar nicht, wie viel Spaß es machen kann, im Matsch zu spielen. Er riecht gut und man kann wunderbare Matschkuchen backen.«
James verdrehte die Augen. Anthony erwiderte ihr Grinsen und sagte: »Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich je Gefallen daran gefunden hätte, bin mir aber sicher, dass unser ältester Bruder Ihnen recht geben würde.«
»Ach ja, der Gärtner. Ich habe mich bei ihm sehr wohlgefühlt.«
James prustete, als er hörte, wie Katey über Jason sprach. Den Blick auf James gerichtet, sagte sie: »Ich weiß, er hört es nicht gern, wenn man ihn so nennt. Aber im Grunde ist er ein Gärtner. Mag sein, dass es nur sein Hobby ist, aber ich für meinen Teil habe noch nie so viele und so prächtige Blumen zu Gesicht bekommen. Judy meinte, ich würde bestimmt Gefallen daran finden, aber mein Erstaunen war grenzenlos.«
Anthony räusperte sich, um die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. »Mir scheint, als wären wir ein wenig vom Thema abgewichen.«
Katey runzelte die Stirn. »Woher rührt eigentlich dieses Interesse an meiner Kindheit?«
»Ich kannte ihre Mutter. Sehr gut sogar.«
»Verstehe.« Katey lächelte verständnisvoll. »Sie lebte unweit von Haverston, ehe sie meinen Vater kennengelernt hat, und Sie sind ebenfalls dort aufgewachsen, richtig?«
»Nun ja, genau genommen war ich bereits erwachsen und kehrte lediglich an Festtagen nach Hause zurück, ehe ich sie richtig kennenlernte. Ich wollte einfach nur wissen, ob Sie und Ihre Mutter ein normales Leben in Amerika verbracht haben.«
»In den Augen der Gardener war es vollkommen normal.«
»Was genau heißt das?«
Sie lächelte. »Dass es ein sehr kleines Dorf war, das vornehmlich aus Farmern bestand. Ich war das letzte Kind, das dort geboren wurde. Alle anderen Kinder waren viel älter als ich und sind allesamt weggegangen, als ich noch klein war. Und außer alten Menschen, die auf der Suche nach Ruhe und Abgeschiedenheit waren, ist niemand nach Gardener gezogen.« Sie gluckste. »Wenn wir eins bieten konnten, dann Ruhe. Bei uns ist nie
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