Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
ich schon älter war und sie kaum noch Zeit für mich erübrigen konnte, weil sie den Laden meines Vaters weiterführte. Der Haushalt fiel danach mehr und mehr in mein Aufgabengebiet.«
Anthony stieß einen Laut aus, der sich anhörte, als hätte er Schmerzen. Wortlos verließ er die Kajüte. Konnte es sein, dass er ein wenig blass um die Nase gewesen war? Katey vermochte es nicht genau zu sagen, weil er sich zu plötzlich weggedreht hatte. Als James sich ebenfalls erhob, legte sie die Stirn in Falten.
An der Kajütentür angekommen, blieb er noch einmal kurz stehen, drehte sich zu ihr um und befahl ihr, sich nicht von der Stelle zu rühren, ehe er die Tür krachend ins Schloss fallen ließ.
Katey schnaubte laut. Was, zum Teufel, wurde hier eigentlich gespielt? Sie blieb regungslos sitzen, auch wenn es ihr schwerfiel. Hätte jemand anders sie angewiesen, sich nicht zu bewegen, hätte sie seine oder ihre Wort in den Wind geschossen, doch nicht so, wenn die Order von James Malory kam. Selbst als sie einen dumpfen Schlag gegen die Wand hörte und sie am liebsten aufgesprungen wäre, um herauszufinden, was vor sich ging, zwang sie sich, sitzen zu bleiben.
Draußen hatte James Anthony gegen die Wand gepresst, gegen die er zuvor geschlagen hatte. »Denk nicht einmal im Traum daran!«
»Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Davon, dass du Katey im Ungewissen lässt. Bist du von allen guten Geistern verlassen, Tony? Was ist nur in dich gefahren?«
»Du hast doch gehört, was sie gesagt hat. Sie ist in einem Provinznest aufgewachsen, und all das ist mein Fehler.«
»Red keinen Unsinn. Es war Adelines Entscheidung, England zu verlassen. Du hast sie nicht auf das Schiff gezwungen, das sie nach Amerika gebracht hat. Und du hast sie auch nicht gezwungen, den Rest ihres Lebens dort zu leben. Sie hätte jederzeit nach Hause kommen können.«
»Aber sie wäre erst gar nicht an Bord gegangen, wenn ich ihr einen richtigen Heiratsantrag gemacht und mich nicht wie ein nervöses Wrack aufgeführt hätte. Kein Wunder, dass sie nicht angenommen hat. Wenn sie sich sicherer gewesen wäre, wäre sie zu mir gekommen, und wir hätten geheiratet. Dann hätte sie so weiterleben können wie vorher, und Katey hätte nicht wie ein Dienstmädchen aufwachsen müssen.«
»Was soll das denn heißen? Dass nur die Oberschicht ein glückliches Leben führen kann? Wird Zeit, dass du von deinem hohen Ross heruntersteigst, Tony.«
»Nein«, brummte Anthony ihn an. »Wir reden hier schließlich von meiner Tochter. So etwas hat sie nicht verdient. Ihr hätte ein Leben voller Luxus gebührt, genau wie Judy und …«
»Sei still und denk haarscharf über deine Worte nach, ehe meine Faust dir auf die Sprünge hilft«, unterbrach James ihn rüde. »Dir ist schon klar, dass du in dem Fall niemals Roslynn kennengelernt, geschweige denn geheiratet hättest, oder? Ganz zu schweigen davon, dass Judy nie das Licht der Welt erblickt hätte.«
Seufzend ließ Anthony den Kopf nach hinten gegen die Holzwand fallen. »Mag sein, dass ich überreagiert habe.«
»Mag sein?«, schnaubte James.
»Es ist nur so … ich sehe keinen Sinn mehr darin, ihr jetzt noch zu erklären, dass ich ihr Vater bin. Nicht nach all den Jahren. Es gibt nichts, das ich ihr geben könnte, was sie sich nicht selbst auch geben kann.«
»Doch, es gäbe da etwas. Eine Familie. Sie würde ein Leben lang brauchen, um eine Familie zu gründen, und du kannst ihr diesen Wunsch innerhalb weniger Minuten erfüllen.«
Kapitel 46
Die beiden Malorys waren jetzt schon eine halbe Ewigkeit weg. So langsam kam ihr der Verdacht, sie könnten sie vergessen haben. Und unter den Umständen, fand sie, dürfte sie James' Anweisung außer Acht lassen. Hinzu kam, dass es ein unglaublich ereignisreicher Tag war. Sie sehnte sich nach ihrer Koje und ungestörtem Schlaf, vorausgesetzt, sie konnte vergessen, was Boyd und sie getan hatten, ehe die Piraten eingetroffen waren.
Als sie den Kopf hinausstreckte, um sich ungesehen in ihre Kajüte zu schleichen, musste sie feststellen, dass die beiden Männer nicht weit entfernt waren und sie bereits bemerkt hatten. Mit unschuldiger Stimme fragte sie: »Ist alles in Ordnung?«
»Ja. Ich war nur gerade dabei, meinen Bruder über Bord zu werfen«, sagte James trocken und tat auf einmal, als wolle er ihm lediglich den Staub von den Schultern klopfen.
»Und ich habe diesem Spinner erklärt, warum das keine sonderlich gute Idee ist«, fügte Anthony beschwingt hinzu,
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