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Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer

Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer

Titel: Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Lindsey
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achtete sie jedoch darauf, keine Geräusche zu verursachen, damit die Eltern nicht aufwachten. Sie raunte dem Mädchen zu, dass es keine Angst haben müsse, und trug es auf Zehenspitzen aus dem Raum. Es gelang ihr sogar, die Türe zu schließen, ohne das Mädchen dafür absetzen zu müssen. In ihrem Zimmer angekommen, setzte sie das Mädchen auf den einzigen Stuhl im Raum, verriegelte die Tür und entzündete die Lampe, damit sie sehen konnte, was sie tat, ehe sie sich an den Fesseln aus grobem Leinen zu schaffen machte. Die Knoten waren sehr fest, vermutlich, weil das Kind gegen sie angekämpft und sie dadurch enger gezogen hatte. Doch Katey war auf kleinere Missgeschicke und Notfälle vorbereitet.
    Bei kurzen Aufenthalten ließ sie für gewöhnlich die große Kleidertruhe in der Kutsche zurück, wo sie von dem Kutscher bewacht wurde, und begnügte sich mit einem kleinen Koffer, in dem sich Unterwäsche, ein Reisekleid und ein Etui mit Nähutensilien befand.
    Nachdem sie die Schere aus dem Etui gefischt hatte, durchschnitt sie die Fesseln. Kaum hatte sie das Mädchen befreit, sprang es auf und hastete zum Nachttopf in der Ecke, wobei es mehrfach das Gleichgewicht verlor, vermutlich, weil die Beine von den Fesseln taub waren. Das arme Kind! Kein Wunder, dass es so herzzerreißend gewimmert hatte.
    Katey drehte sich weg, um dem Kind ein wenig Privatsphäre zu verschaffen, und machte sich daran, den Korb mit dem Proviant zu öffnen, den sie und Grace stets bei sich führten, nachdem es ihnen einmal passiert war, dass sie mit leerem Magen in einem Wirtshaus ins Bett gehen mussten, weil die Küche bereits geschlossen hatte.
    »Hast du Hunger?«, fragte sie, nahm ein Stück Brot heraus und brach ein Stück Käse ab.
    »Ich komme fast um vor Hunger.«
    »Komm und setz dich zu mir. Es ist kein Festessen, und das Brot ist auch schon ein wenig altbacken, aber …«
    »Vielen tausend Dank«, fiel ihr das Mädchen ins Wort und entriss ihr den Kanten.
    »Wenn du einen Augenblick wartest, mache ich dir einen Teller fertig.«
    »Ich kann nicht warten«, sagte das Mädchen mit vollem Mund. »Schmeckt auch so herrlich.«
    Katey legte die Stirn in Falten. »Wann hast du zum letzten Mal etwas gegessen?«
    »Heute Morgen. Oder gestern Morgen? Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist.«
    Katey erging es nicht anders. Es war durchaus denkbar, dass die Morgendämmerung nicht mehr fern war. Aufgrund der vorgezogenen Vorhänge ließ sich das nur schwer sagen. Doch Katey blieb sitzen und starrte wie gebannt auf das fremde Mädchen.
    »Wie können deine Eltern dir das nur antun? Oder hast du womöglich etwas ausgefressen?«
    »Meine Eltern würden mich niemals so schlecht behandeln«, entgegnete das Mädchen und klang, als fühle es sich angegriffen. Als sein Blick auf das Stück Kuchen im Korb fiel, hüllte es sich einen Augenblick in Schweigen, ehe es fortfuhr: »Wenn Sie die Frau und den Mann im Nachbarzimmer meinen, die kenne ich nicht.«
    Katey, die selbst eine blühende Fantasie hatte, war sich nicht sicher, ob sie den Worten des Mädchens glauben konnte, verkniff sich aber jeglichen Kommentar. Es schien tatsächlich, als hinge dem Kind der Magen bis auf die Knie, denn es aß alles, was es in die Finger bekommen konnte. Immerhin hatte man es gefesselt und auf dem kalten Fußboden nächtigen lassen. Sollte sich herausstellen, dass es doch die leiblichen Eltern waren, so gehörten sie an den Galgen.
    »Wie bist du denn dann zu diesen Leuten gekommen?«
    Das Mädchen aß ein wenig langsamer. Erst jetzt fiel Katey auf, dass es mit außerordentlicher Schönheit gesegnet war. Ihr goldblondes Haar war von kupferfarbenen Strähnen durchzogen, und obgleich es zerzaust war, war es sauber und schimmerte seidig. Und ihre Augen waren von einem bestechend dunklen Blau. Auf einer Wange hatte es einen Kratzer. Obwohl das rosafarbene Reiterkleid, das es trug, verdreckt und mit Spinnweben überzogen war, erkannte Katey sofort, dass es sich dabei nicht um ein altes Kleidungsstück handelte. Es wirkte eher neueren Datums und schien dem Mädchen auf den Leib geschneidert worden zu sein. Wenn sie sich nicht täuschte, stammte es aus einer wohlhabenden Familie.
    »Die Frau hat mich vom Pferd gezogen und gesagt, sie würde mir die Kehle durchschneiden und mich ins Gebüsch werfen, wenn ich nicht leise wäre«, riss das Mädchen Katey aus den Gedanken. »Ich weiß nicht, warum, aber ich kann mich nicht genau daran erinnern, was als Nächstes passiert ist. Als

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