Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
in ihre Stimme, ohne dass sie es beabsichtigt hatte. »Ihre Großzügigkeit hat das Schweigen gebrochen. Immerhin rede ich wieder mit Ihnen, nicht wahr?«
»Aber haben Sie mir auch vergeben?«
»Sie haben mir erlaubt, für den Gebrauch Ihres Schiffes zu bezahlen. Ob das meiner Reiseerfahrung zuträglich ist oder nicht, wird sich noch zeigen. Fragen Sie mich in einem Monat noch mal.«
»Katey …«
»Ich halte es für das Beste, wenn das Thema nicht noch einmal aufkäme. Deshalb sage ich es auch nur dieses eine Mal. Sie haben nach einem Weg gesucht, Ihre moralischen Schulden bei mir abzutragen, und ich habe Ihnen eine solche Möglichkeit verschafft. Die Geste Ihrerseits ist von Großzügigkeit geprägt, dessen bin ich mir durchaus bewusst. Bis jetzt ist es Ihnen jedoch lediglich gelungen, mir sieben, sagen wir acht weitere Tage in London zu ersparen. Zermürbende Tage, so viel steht fest. Aber es wären auch Tage gewesen, an denen ich mir Unterhaltung hätte suchen können, um die Zeit totzuschlagen. Das wiegt den einen Tag nicht auf, den ich im Arrest verbringen musste …«
»Daran hatte ich keinerlei Schuld!«
»… was auch indirekt Ihre Schuld war, ganz zu schweigen von den Misshandlungen, der Frustration und der Wut«, fuhr sie fort, als hätte er sie nicht unterbrochen. »Ich wiederhole noch einmal: Sie können mich in einem Monat wieder fragen, wenn ich mit Ihrer Hilfe etwas von der Welt gesehen habe.«
Womöglich war das der Grund, warum sie ihn so schnell nicht wieder zu Gesicht bekam. Ihre Reaktion war ein wenig harsch ausgefallen. Ein wenig? Nein, ziemlich sogar. Es war durchaus denkbar, dass er es inzwischen bereute, ihr ein so großzügiges Angebot gemacht zu haben, und sie konnte ihm noch nicht einmal einen Vorwurf daraus machen. Natürlich reichte seine Geste. Es war mehr, als sie erwarten konnte. Hatte sie nicht sogar darüber nachgedacht, sich ein eigenes Schiff zu kaufen? Jetzt hatte sie eines zur Verfügung, auf das sie nicht hatte warten müssen, und preiswerter war es obendrein. Für einen Kapitän und seine Mannschaft hätte sie ohnehin bezahlen müssen.
Sie war sogar im Besitz einer eigenen Kutsche, dank Roslynn Malory. Und was für ein Prachtexemplar es war. Dazu hatte sie auch einen eigenen Kutscher. John Tobby war ein strammer Bursche Mitte dreißig. Seiner Aussage zufolge konnte er gut schießen und war im Faustkampf erprobt. Mitunter kam ihr seine angsteinflößende Köperstatur zur Hilfe, denn er hatte zugestimmt, neben seiner Tätigkeit als Kutscher als ihr Leibwächter zu fungieren. Das hatte sie zur Bedingung gemacht, ehe sie ihn angeheuert hatte. Es war nicht schwer gewesen, ihn zu finden. Die Tatsache, dass sie eine Weltreise plante, hatte sich als Vorteil erwiesen. Sie war nämlich nicht die Einzige, die gern mehr von der Welt sehen wollte.
Unglücklicherweise war es durchaus denkbar, dass John sie nicht die ganze Zeit über begleiten würde. Er war noch nie zuvor an Bord eines Schiffes gewesen und ward seit dem Ablegen ebenfalls nicht mehr gesehen. Noch ehe sie den Ärmelkanal erreicht hatten, war er seekrank geworden. Eine Tatsache, die Grace nicht sonderlich begrüßte. Die beiden hatten einander schöne Augen gemacht, was aber schlagartig ein Ende gefunden hatte, weil er sich in seiner Kajüte verbarrikadiert hatte. Auch ihr war klar, dass er sie womöglich verließ, sobald sie den nächsten Hafen erreichten. Vor allem, weil er wusste, dass sie nicht gerade wenig Zeit an Bord der Oceanus verbringen würden.
Katey seufzte innerlich. Sie stand allein an der Reling, ein Fernglas in der Hand. Am Morgen hatten sie die Straße von Gibraltar passiert. Am ersten Tag auf See hatte Captain Reynolds ihr das Fernrohr gegeben, mit den Worten, er würde, sofern die Untiefen es zuließen, so nah an der Küste entlangsegeln, damit sie stets einen guten Blick darauf hatte. Bislang waren sie zügig vorangekommen, hatten die Winde sie geschoben. Das Wetter hatte sich spürbar verbessert. Es war so gut geworden, dass sie sich nicht mehr die Arme reiben musste, wenn sie stundenlang an der Reling stand, so wie sie es bisher jeden Tag getan hatte.
Das Fernrohr war eine nette Geste gewesen, hatte aber nach nur einem Tag seinen Reiz eingebüßt. Die vorbeiziehende Landschaft sah stets gleich aus, steinige Küsten, Strände und unzählige Bäume. Im Norden Frankreichs war ihr das noch interessant erschienen, war die Landschaft doch, genau wie in England, herbstlich eingefärbt. Im Süden
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