Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
denn niemand gesagt, mit welcher Familie sie verwandt ist?«
Anthony runzelte die Stirn. »Nicht, dass ich wüsste. Ich weiß lediglich, dass sie Katey deshalb nach Haverston eingeladen haben, weil ihre Familie ganz in der Nähe lebt. Mehr habe ich nicht mitbekommen und ich habe mich auch nicht weiter um die Angelegenheit gekümmert. Ich war davon ausgegangen, dass es sich um eine amerikanische Familie handelt, die sich in der Nähe niedergelassen hat. Kann sein, dass Roslynn meint, sie hätte mir gegenüber etwas erwähnt … über wen sprechen wir denn jetzt eigentlich, James?«
»Die Millards.«
Anthony ließ sich auf einen Stuhl fallen. Er war kreidebleich. Als James sich dessen gewahr wurde, verflüchtigte sich sein belustigter Gesichtsausdruck.
»Sag jetzt bloß nicht, ich habe eine Nichte, von der ich nichts wusste!«
»Sei du nur still!«, schoss Anthony zurück. »Du hast nichts von Jeremys Existenz gewusst, bis er sechzehn Jahre alt war.«
»Darum geht es jetzt doch gar nicht«, murmelte James, ehe er trocken nachschob: »Also stimmt es? Klingelt es jetzt bei dir?«
Unzählige Erinnerungen prasselten auf Anthony herein. Zwanzig Jahre alte Bilder aus seiner Vergangenheit. Schöne und weniger schöne Erinnerungen. Es war mehr als wahrscheinlich. Natürlich konnte es auch purer Zufall sein, doch sein Bauch sprach eine andere Sprache.
Er schloss die Augen und kramte eine Erinnerung hervor, die er beinahe vollkommen vergessen hatte. Das Bild war leicht verschwommen, weil es so lange her war, aber die Augen waren smaragdgrün, das Haar rabenschwarz, wunderhübsch mit den niedlichen Grübchen und den lachenden Augen. Adeline Miliard. Die einzige Jugendliebe, mit der er gerne vor den Priester getreten wäre. Katey Tyler hatte dieselben Augen und Grübchen … o Gott.
»Klingelt es so laut, dass du schon taub bist?«, fragte James, der ihn noch immer beobachtete.
»So, als hättest du neben meinem Ohr eine Pistole abgefeuert«, antwortete Anthony leicht eingeschüchtert.
»Warte mal. Ich glaube, ich muss mich setzen.« Nachdem er seine Worte in die Tat umgesetzt hatte, fügte er sardonisch hinzu: »Raus mit der Sprache, erzähl mal, wie es dir all die Jahre gelungen ist, die Tatsache zu verdrängen, dass du eine erwachsene Tochter hast.«
Anthony reagierte nicht, wie er es unter normalen Umständen getan hätte. Er war noch immer vollkommen fassungslos. Zu tief saß der Schock darüber, was seine Erinnerungen nahelegten.
»Bei Gott, ich kann damals höchstens einundzwanzig Lenze gezählt haben«, sagte er seinem Bruder. »Ich kam für das Weihnachtsfest nach Haverston. Wenn mich meine Erinnerung nicht trübt, warst du auch da und gingst Jason ziemlich auf die Nerven. Wir sind gemeinsam aus London angereist.«
James zuckte die Achseln. »Das haben wir immer so gehandhabt, ehe ich zur See gefahren bin. Tu mir einen Gefallen und quäl mich nicht mit der langen Version. Die Kurzfassung reicht vollkommen.«
Anthony ersparte ihm dieses Mal einen bitterbösen Blick, ehe er fortfuhr: »Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, warum ich an dem Tag nach Hävers Town gefahren bin, vermutlich, um auf den letzten Drücker ein Geschenk zu kaufen. Adeline war ebenfalls in der Stadt und hat Einkäufe erledigt. Natürlich bin ich in jungen Jahren den Millard-Mädchen hier und da mal begegnet, aber es war das erste Mal, dass ich Adeline als erwachsene Frau gesehen habe.«
Jason hob unbewusst die Augenbraue, woraufhin er zusammenzuckte. Dennoch sprach er mit trockener Stimme, als er sagte: »Lass mich raten, der Anblick hat dich umgehauen.«
»Das kannst du laut sagen. Sie hat mich von Anbeginn an in den Bann gezogen und ich habe sofort meinen Charme spielen lassen. Das Ganze endete damit, dass ich länger geblieben bin, als ich eigentlich vorhatte. Es dauerte nicht lange, da war ich hin und weg. Genau wie sie. Ich habe mir sogar ausgemalt – und tu mir jetzt bitte einen Gefallen, James, und lach nicht –, wie es wäre, wenn ich mit ihr eine Familie gründe. Ich habe doch nur mit ihr ein Verhältnis begonnen, weil ich sie heiraten wollte. Immerhin war sie unsere Nachbarin.«
»Verstehe.«
»Aber dann ist sie von jetzt auf gleich auf den Kontinent gereist. Keine Vorwarnung, kein Wort davon, dass sie eine Reise plant, kein Adieu. Ich mache gar keinen Hehl daraus, dass ich ein Auge auf sie geworfen hatte. Erst Jahre später kam mir zu Ohren, sie hätte einen Baron geheiratet und wäre gleich bei ihm geblieben. Es
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