Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
wieder durch.«
»Bedeutet das nicht für gewöhnlich, dass deine Herzallerliebste fuchsteufelswild ist?«, bemerkte James, der schlagartig bessere Laune bekam.
»Nicht immer«, murmelte Anthony. »Aber meistens schon.«
Jetzt war es James, der aus vollem Herzen lachte. »Ich habe soeben beschlossen, dir doch noch ein wenig Gesellschaft zu leisten, lieber Junge. Ich komme auf einmal fast um vor Hunger.«
Anthony beachtete seinen Bruder nicht, sondern wies den Kutscher an, ihn auf dem schnellsten Weg nach Hause zu bringen. Er hatte keinen blassen Schimmer, was der Grund für Roslynns Gefühlsausbruch sein mochte. Am Morgen hatte sie ihn an der Tür mit einem Kuss verabschiedet und ihn ermahnt, ja nicht mit einer blutigen Nase nach Hause zu kommen, weil sie wusste, wohin er ging und wer bei ihm war.
Wenig später erreichten sie das Stadthaus am Piccadilly. Er hatte gehofft, Roslynn in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer anzutreffen, wo er unter vier Augen mit ihr reden konnte, doch Fortuna war ihm nicht hold. Sie stand vor dem Kamin im Salon und klopfte ungehalten mit dem Fuß auf den Boden, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihre haselnussbraunen Augen funkelten. Nicht vor Sorge, wie er gehofft hatte. Sondern vor Wut. Er stöhnte innerlich.
»Ich verlange auf der Stelle eine Erklärung! Ich fasse es nicht, dass du mir gegenüber nichts davon erwähnt hast.«
»Was denn?«, wagte er sich vorsichtig vor.
Sie stapfte auf ihn zu und klatschte ihm ein Stück Papier auf die Brust. Beinahe wäre es zu Boden gesegelt, wenn er es nicht in letzter Sekunde gefangen hätte. Noch hatte er sich nicht angesehen, worum es eigentlich ging. Roslynn war noch nicht mit ihrer Standpauke fertig.
»Warum hast du mir nichts davon gesagt?«, fragte sie ihn mit schriller Stimme. »Dachtest du etwa, ich würde es nicht verstehen? Das ist wieder typisch für deine Familie!«
Bei der letzten Bemerkung warf sie James einen vernichtenden Blick zu. Statt den Salon zu betreten, war er in der Tür stehen geblieben und hob jetzt fragend die hellen Augenbrauen. An Anthony gewandt, sagte er: »Lies endlich den vermaledeiten Wisch. Ich möchte gern wissen, was mir vorgeworfen wird.«
»Dir? Ich bin derjenige, der hier angeschrien wird, und ich würde es lieber aus ihrem Munde erfahren.« Mit diesen Worten legte er den Arm um Roslynns Schultern und sagte mit sanfter Stimme: »Liebling, ich habe keine Geheimnisse vor dir. Worum geht es hier eigentlich?«
Sie wand sich aus seiner Berührung, verschränkte abermals die Arme und sah ihn wutentbrannt an. In dem Moment murmelte James: »Verflixt und zugenäht«, betrat den Raum und entriss Anthony das Schreiben.
»›Halten Sie Ihren Bastard von uns fern‹«, las James laut vor. »›Ich möchte sie hier nie wieder sehen. Meine Mutter würde es nicht verkraften, wenn die Erinnerungen an ihre Tochter, die für uns schon lange vor ihrem Tod gestorben ist, wieder an die Oberfläche geholt würden. ‹ Es ist mit Letitia unterschrieben.«
Anthony kannte niemanden mit diesem Namen. »Wer?«
James zuckte die Schultern, weil er ebenso ratlos war. Roslynn war die Einzige, die wusste, was die Zeilen zu bedeuten hatten.
»Und du hattest sogar die Unverfrorenheit, sie in unser Haus zu bringen, ohne mir einen Ton zu sagen!«, fauchte sie, ehe sie von ihren Gefühlen übermannt wurde und fluchtartig den Salon verließ.
Kapitel 31
»Was wird hier eigentlich gespielt?«, fragte Anthony ungläubig seinen Bruder, während er auf die Tür starrte, durch die seine Gemahlin soeben entschwunden war. »Wen, in drei Teufels Namen, soll ich hier eingeschleust haben?«
James, der soeben eine Eingebung hatte, lachte laut los. »Mir schwant, sie hält Katey Tyler für deine Tochter.«
»Red keinen Unsinn«, brummte Anthony. »Wie kommst du denn auf den Quatsch?«
»Weil mir gerade eingefallen ist, wer diese Letitia ist.« Auf Anthonys ratlosen Blick fuhr er fort: »Gütiger Gott, weißt du denn nicht, dass Katey nach Gloucestershire gereist ist, um endlich ihre Verwandten kennenzulernen? Ihre Familie mütterlicherseits.«
»Das wusste ich, ja.«
»Und?«
»Und was?«, entfuhr es Anthony ungehalten. »Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um den heißen Brei herumzureden.«
James verdrehte die Augen. »Aber das erklärt alles, mein Junge. Ich habe selbst mit angehört, wie Judy und Jack sich darüber unterhalten haben. Das war ja auch der Grund, warum Katey überhaupt nach Hävers Town gereist ist. Hat dir
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