Malory
Abigail wissen.
Warren schaute über seine Schulter und sah, daß Amy sich tatsächlich hinter ihm versteckte, das Gesicht dicht hinter seinem Rücken.
»Meine Mätresse«, antwortete er knapp, als wollte er sich an Amy rächen.
»Sie kleiden sie aber in prächtige Gewänder«, bemerkte Abigail ungläubig.
»Ein Mann gibt sein Geld aus, wie es ihm beliebt«, erwiderte er mit einem verwegenen Lächeln.
Die alte Dame schnalzte mit der Zunge, ging aber über seine Bemerkung hinweg. »Sie sehen mir ziemlich mitgenommen aus.«
»Sind wir auch«, entgegnete Warren. »Unseres Geldes und unserer Kutsche beraubt.«
»Straßenräuber?«
»Man hat uns gleichsam aus der Stadt hierher entführt und dann ausgeraubt«, erklärte er.
»Ein Skandal! Steigen Sie ein, dann können Sie mir alles erzählen.«
»Auf keinen Fall«, flüsterte Amy hinter seinem Rücken.
»Ich kann das Risiko nicht eingehen.«
»Was murmelt sie da?«
Bevor er antworten konnte, warnte Amy: »Sie hat dir kein Wort geglaubt. Sie brennt darauf herauszufinden, ob sie mich kennt. Und sie kennt mich.«
»Geschieht dir ganz recht«, entgegnete er, öffnete die Kutschentür und stieß sie hinein.
Amy konnte es nicht fassen, daß er ihr das antat. Doch sie würde es sich nicht gefallen lassen. Das Gesicht unter ihrer Kapuze verborgen, stieg sie auf der einen Seite der Kutsche ein und auf der anderen gleich wieder aus.
Warren folgte ihr, nachdem er der verdutzten Dame zugeru-fen hatte: »Verzeihen Sie, Madam. Es wird nicht lange dauern.«
Nach etwa hundert Metern hatte er Amy eingeholt, die vor lauter Zorn gar nicht richtig laufen konnte. »Was zum Teufel fällt dir ein?«
»Mir?« keuchte sie wütend. »Sprechen wir lieber darüber, was dir einfällt. Du bist nicht dazu gekommen, eine Gerte zu schneiden. Deshalb willst du mich auf diese Weise für die Unannehmlichkeiten bestrafen, die ich dir bereitet habe. Nun, du wirst dir etwas anderes ausdenken müssen.«
»Ich gehe nicht zu Fuß nach London zurück, wenn uns diese Dame freundlicherweise anbietet, uns mitzunehmen.«
»Dann fahr doch, aber ohne mich! Wenn du nicht an meinen Ruf denkst, dann denke wenigstens an deinen. Die Dame wird ganz London erzählen, daß du mich kompromittiert hast. Und glaube nicht, daß du ungeschoren davonkommst. Aber so will ich dich nicht haben, Warren, ich will, daß du aus freien Stük-ken um meine Hand anhältst.«
Sie konnte ihn fast mit den Zähnen knirschen hören. »Dann laß uns verdammt noch mal einen Kompromiß schließen. Du setzt dich oben neben den Kutscher. Er wird dich ja wohl nicht erkennen.«
»Und was willst du Lady Beecham erzählen?«
»Daß du sie mit deinem unmoralischen Wesen nicht besu-deln willst.«
Sie hätte ihm am liebsten einen Tritt versetzt. Statt dessen aber warf sie ihm ein honigsüßes Lächeln zu. »Du bist vielleicht kein Lebemann, Warren Anderson, aber du bist ganz eindeutig ein Schurke.«
Kapitel 16
Anders als Warren, der fest entschlossen schien, seine Bitterkeit bis an sein Lebensende zu hegen und zu pflegen, war Amy viel zu temperamentvoll, um nachtragend zu sein oder sich lange zu ärgern. Und so hatte sie Warren bereits verziehen, als Lady Beecham sie vor dem Albany Hotel absetzte. Der Gedanke, jetzt dort zu sein, wohin sie den ganzen Abend schon gewollt hatte, setzte ihr wieder Flausen in den Kopf.
Warren schien ihr das anzusehen, denn er raunte ihr zu:
»Wenn du es aussprichst, lege ich dich auf der Stelle übers Knie, ganz gleich, wie viele Zuschauer dabei sind. »Und ich werde erst aufhören, wenn du um Erbarmen flehst.«
»Wie kommst du darauf, daß ich nicht jetzt schon um Erbarmen flehe?« fragte sie.
»Und wie kommst du darauf, daß ich überhaupt Erbarmen kenne?«
Sie lächelte ihm verschmitzt zu, diesmal nicht im geringsten eingeschüchtert. »Ich weiß es. Vielleicht ist es irgendwo in deinem Innern verschüttet, doch ich wette, ich könnte es aus-graben, wenn ich’s versuchte – und ich verliere nie bei Wetten.«
Warren würdigte sie keiner Antwort, sondern packte Amy nur am Arm und wandte sich ab, um eine Droschke herbeizuru-fen. Glücklicherweise war Abigails Kutsche schon um die Ecke gebogen, denn Warren konnte seine Ungeduld nicht mehr zügeln. Er wollte Amy loswerden, und zwar auf der Stelle.
Amy hatte jetzt schon fast Mitleid mit ihm. Sie hatte ihm heute mehrfach das Leben zur Hölle gemacht in der Absicht, ihn auf dem schnellsten Wege mürbe zu machen. Doch das war mehr gewesen, als ein Mann
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