Malory
weitere Möglichkeit, an die du noch nicht gedacht hast. James könnte nämlich meine Familie dazu bewegen, die Dinge auf meine Art zu sehen. Dann hättest du nur erreicht, daß mein Onkel dir im Nacken sitzen und jeden deiner Schritte beobachten wird.« Sie war jetzt so zornig, daß sie hinzufügte: »Und noch etwas. Deine ach so kluge Idee mag dir jetzt vielleicht wie eine Rettung vorkommen, doch es wäre der Ausweg eines Feiglings. Wenn du mir widerstehen willst, Warren Anderson, dann tu es selbst.«
Damit wandte sie sich schroff ab und suchte nach der Innen-tasche ihres Umhangs, in die sie ihren Hausschlüssel gesteckt hatte. Ihr Umhang war ein wenig verrutscht, und so war die Tasche nicht da, wo sie sein sollte. Sie konnte nur hoffen, daß der Schlüssel nach ihren verschiedenen Stürzen nicht herausge-fallen war. Doch wenn sie es genau bedachte, wäre ihr Problem gelöst, wenigstens jetzt, sollte der Schlüssel verloren sein. Doch er war da, und sie hatte beschlossen, Warren nicht mehr anzulü-
gen und ihm auch keine Halbwahrheiten zu präsentieren.
Er sagte die ganze Zeit kein einziges Wort, doch als sie den Schlüssel ins Schloß steckte, legten sich seine Hände auf ihre Schultern. »Glaubst du, daß ich es nicht kann?«
»Was?«
»Dir widerstehen.«
Sie selbst konnte dem Bedürfnis nicht widerstehen, sich an ihn zu schmiegen. Und er stieß sie nicht zurück.
»Jedenfalls gibst du dir alle Mühe«, hauchte sie.
»Und mit Erfolg.«
»Wollen wir wetten?«
Sie hielt den Atem an, während sie auf seine Antwort wartete. Es war zwar verrückt, aber sie glaubte wirklich, er würde sein Schicksal besiegeln, wenn er diese Wette annahm, da sie nie eine Wette verlor. Doch er enttäuschte sie.
»Nein, darauf zu wetten, hieße die Sache ernst zu nehmen.
Deine Dreistigkeit hat mich verwirrt, das ist alles. Aber jetzt, da ich weiß, was du willst, kann ich dich ignorieren.«
Sie drehte sich so schnell um, daß er nicht zurückweichen und die Berührung ihrer Brüste vermeiden konnte. »Kannst du das wirklich?« fragte sie mit verführerischer Stimme.
Er wandte sich ab und ging. Vielleicht konnte er es wirklich
– eine kleine Weile noch.
Kapitel 17
Amy schloß behutsam die Tür, verriegelte sie und lehnte sich dagegen. Sie lächelte still in sich hinein, da die Gefahr nun überstanden war. Es war ihr gelungen, ohne Warren ins Haus zu kommen – ein kleines Wunder bei seiner Starrköpfigkeit.
Sie wußte nicht einmal, welche ihrer Bemerkungen ihn umgestimmt hatte, doch wichtig war jetzt nur, Onkel James nicht aus dem Schlaf zu reißen, denn sonst wäre ihr eine Moralpredigt gewiß gewesen. Ein anderes Mal vielleicht, aber nicht jetzt ...
»Darf ich wissen, wo du dich heute nacht herumgetrieben hast?«
Amy zuckte zusammen, so sehr fuhr ihr der Schreck in die Glieder. »Ja ... nein ...«, stammelte sie. »Fällt mir im Moment nicht ein; kann ich’s dir nicht morgen sagen?«
»Amy ...«
»War doch nur Spaß«, sagte sie erleichtert, weil Jeremy und nicht sein Vater sie ertappt hatte. »Und was machst du schon so früh zu Hause?«
Er durchschaute sofort, daß sie ihn ablenken wollte. »Tut nichts zur Sache, Cousinchen. Erst deine Antwort, und zwar jetzt gleich.«
Sie schnalzte ungeduldig mit der Zunge, während sie sich an ihm vorbeischlängelte, um in den Salon zu gehen. »Wenn du es unbedingt wissen willst: Ich hatte ein heimliches Stell-dichein mit einem Mann, der mir ganz gut gefällt.«
»Schon?«
Sie drehte sich zu ihm um. »Was willst du damit sagen –
schon?«
Er lehnte sich an den Türrahmen, die Arme verschränkt, die Beine übereinandergeschlagen, eine lässige Haltung, die ihr Onkel Tony so liebte und die Jeremy, der ihm so ähnlich sah, perfekt nachahmen konnte. »Ich meine, du hattest erst letzte Woche deinen ersten Ball. Hätte nicht gedacht, daß du in Dianas Fußstapfen trittst und deine Wahl so schnell triffst.«
Sie zog eine Braue hoch. »Dachtest du, ich wäre wie Clare und würde zwei Jahre lang brauchen, um mich zu entscheiden?«
»So lange nicht, aber doch wenigstens ein paar Monate.«
»Ich habe nur gesagt, daß er mir ganz gut gefällt, Jeremy«
»Schön zu hören. Und wozu dann diese Geheimniskräme-rei?«
»Weil ich mir nicht vorstellen kann, daß unsere Familie mit ihm einverstanden sein wird.«
Jeremy war der einzige, dem sie das sagen konnte, ohne mit einem Zornausbruch rechnen zu müssen. Und er grinste, wohl in Vorfreude auf die Zornausbrüche der restlichen
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