Malory
etwas zu jammern, das nicht zu ändern war.
Nach einer Weile aber kam ihr ein Verdacht. »Ich hoffe, du hast nicht deshalb nachgegeben und dich von mir verführen lassen, weil du glaubst, daß du nicht mehr lange zu leben hast.«
»Du hast mich nicht verführt. Ich habe dich überfallen.«
»Unsinn! Es war eine wohlgeplante Verführung – nun gut, halbwegs geplant jedenfalls, weil ich natürlich nicht wissen konnte, daß man mich hierher bringen würde. Aber beantworte mir meine Frage.«
»Ich habe nicht die Absicht zu sterben. Genügt dir das als Antwort?«
»Und wie willst du es verhindern?«
»Die Vase ist mein einziges Druckmittel«, erklärte er. »Also muß ich einen Weg finden, sie zu übergeben und trotzdem die Oberhand zu behalten.«
»Weißt du schon, wie?«
»Noch nicht.«
»Zhang behauptete, du hättest die Vase gestohlen«, sagte sie beiläufig.
»Er ist ein verdammter Lügner«, ereiferte sich Warren.
»Wir haben gewettet: die Vase gegen mein Schiff. Er hat verloren und dann versucht, mich noch in derselben Nacht umzu-bringen, um die Vase zurückzubekommen.«
»Ziemlich unfair, findest du nicht?«
»Ein Mann wie Yat-sen glaubt nicht an Fairneß. Er glaubt nur an eines: daß er bekommt, was er begehrt. Klingt ein biß-
chen nach dir, findest du nicht?«
Bei diesem unerwarteten Angriff stieg Amy die Zornesröte ins Gesicht. Warum hatte sie nur etwas zur Sprache gebracht, das unweigerlich Warrens Unmut erregen würde, wo sie doch wußte, daß sich dieser Unmut dann automatisch gegen sie richtete? Und Warren war noch nicht fertig.
»Ich müßte dich durchprügeln dafür, daß du dich Zhangs Klauen ausgeliefert hast. Wenn du zu Hause geblieben wärst, wie es sich für eine junge Dame gehört, hätten sie keinen von uns beiden erwischt.«
»Das stimmt«, sagte sie kleinlaut und kuschelte sich wieder an ihn. »Aber du wirst mich nicht verprügeln, wenn du mich statt dessen noch einmal lieben kannst.«
»Da hast du wohl recht«, stimmte er zu und wartete nicht lange damit, es ihr zu beweisen.
Kapitel 35
Der Südwestwind war stärker geworden und peitschte jetzt mit doppelter Stärke übers Deck. Warren mußte zu seinem Bedauern auf sein tägliches Training draußen verzichten.
Kreidebleich und völlig durchnäßt erschien Taishi mit Amys wenigen Habseligkeiten und ein paar Essensresten aus der Kombüse.
Amy wollte sich über die magere Kost beschweren, aber Warren erklärte ihr, daß bei solchem Wetter die Öfen geschlossen werden mußten. Er selbst wäre am liebsten zu den anderen Männern an Deck gegangen, um ihnen seine Dienste anzubieten, wenn sich Amy nicht so sehr vor dem Sturm gefürchtet hätte.
Es war das erste Mal, daß er sie wirklich verängstigt sah. Sie versuchte, ihrer Angst Herr zu werden, indem sie unentwegt albernes Zeug plapperte, nervös auf und ab lief und immer wieder laut stöhnte: »Ich hasse das. Warum unternimmst du nichts dagegen?«
Albern und komisch zugleich, aber ihm war nicht zum Lachen zumute. Er stellte zu seinem Erstaunen fest, daß es ihm zu schaffen machte, sie so verängstigt zu sehen, und daß er wünschte, er könnte den verfluchten Sturm für sie zum Schweigen bringen. Aber er konnte lediglich versuchen, sie zu beruhigen. Dabei wußte er genau, daß ein Sturm wie dieser ein Schiff manövrierunfähig machen konnte. Und da sie erst die Hälfte ihrer Strecke zurückgelegt hatten, konnten sie abgetrieben werden und verhungern oder verdursten – wenn ihr Schiff nicht schon vorher sinken würde.
All das sagte er seiner Kabinengenossin natürlich nicht.
Obgleich er lieber draußen gegen die Elemente angekämpft hätte, hatte das Zusammensein mit Amy auch seine Vorteile, seit er ihren Verführungskünsten nachgegeben hatte. Außerdem sorgte sie für die Zerstreuung seiner düsteren Gedanken, weil er seinerseits sie von dem Sturm ablenken mußte, und es schien nur eine Möglichkeit der Zerstreuung zu geben ...
Allzu viel Zeit konnten sie allerdings nicht ungestört im Bett verbringen, so sehr sie es auch genossen, denn der Sturm warf das Schiff immer heftiger hin und her, so daß sie schließ-
lich alle Mühe hatten, sich auf der Matratze zu halten.
Als Amy zum zweiten Mal von der Matratze rollte, kam Taishi gerade unerwartet zur Tür herein, begleitet von einem Schwall Wasser. Er bemerkte nicht einmal, daß Amy nackt war, so groß war seine Panik.
»Du müssen kommen sofort«, schrie er gegen den tosenden Wind an, bevor er die Tür zustemmen
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