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Malory

Malory

Titel: Malory Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 04. Wer die Sehnsucht nicht kennt
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konnte. »Niemand steuern Schiff.«
    Während Warren rasch in Hose und Stiefel schlüpfte, fragte er: »Wo ist der Steuermann?«
    »In London weggelaufen – kein guter Mann.«
    »Und wer hat das Schiff bisher gesteuert?«
    »Kapitän und Erster Matrose.«
    »Und was ist mit ihnen?«
    »Welle Kapitän gegen Ruder schleudern. Kopf kaputt. Er nicht mehr aufwachen.«
    »Und der Erste Matrose?«
    »Nicht zu finden. Wohl auch über Bord.«
    »Auch?«
    »Noch drei andere weg«, erklärte Taishi. »Ich einen selbst fallen sehen.«
    »Großer Gott«, sagte Warren, schnallte seinen Gürtel um und eilte zur Tür.
    Doch Amy versperrte ihm plötzlich den Weg. »Du gehst nicht, Warren!«
    Natürlich würde er gehen. Sie wußten beide, daß sie gar keine andere Wahl hatten. Doch sie war gerade nicht in der Stimmung, das einzusehen.
    Und daß sie jetzt mehr um ihn als um sich selbst besorgt war, irritierte ihn irgendwie. Da er in Situationen wie dieser nie Eltern oder Geschwister um sich gehabt hatte, wußte er nicht, wie es war, wenn sich jemand Sorgen um ihn machte. War überhaupt jemals ein Mensch um ihn besorgt gewesen – außer Amy damals bei der Begegnung mit den Banditen? Dieser Gedanke erzeugte ein sonderbares, aber nicht unangenehmes Gefühl, dem nachzugeben er jetzt allerdings keine Zeit hatte.
    Er nahm ihr kleines blasses Gesicht in seine Hände und sagte, so ruhig er konnte: »Schau mal, Amy, so etwas habe ich schon zigmal mitgemacht; ich könnte es wahrscheinlich im Schlaf. Kein Grund also, dir Sorgen um mich zu machen.«
    Sie konnte das so nicht hinnehmen. »Warren, bitte ...«
    »Nun laß, Amy«, sagte er sanft. »Das Schiff muß von jemandem gesteuert werden, der weiß, was er tut, und ich weiß, daß ich mich am Steuerrad festbinden muß, damit mir nichts passieren kann. Es wird alles gut, Amy, ich verspreche es dir.« Er küß-
    te sie kurz und heftig. »Und jetzt zieh dich an, klemm dich zwischen die Matratze und die Wand, und versuche, ein wenig zu schlafen. Dazu bist du ja letzte Nacht kaum gekommen.«
    Schlafen? Der Mann war wohl nicht bei Verstand. Aber er war schon zur Tür hinaus, und sie konnte ihn nicht zurückhalten. Da stand sie nun mit zitternden Händen und jammerte leise vor sich hin. Sie wollte es einfach nicht glauben! Warren war doch nicht etwa wirklich draußen in dem tosenden Infer-no, das ihr Schiff wie Treibgut hin und her schleuderte.
    Aber doch, er war draußen, und sie würde ihn nie wiedersehen. Wie der Erste Matrose würde er über Bord gespült werden und im aufgewühlten Meer untergehen.
    Kaum hatte sich dieser Gedanke in ihrem Kopf festgesetzt, wurde sie von Panik ergriffen. Sie rannte zur Tür, hämmerte mit den Fäusten dagegen und schrie nach Taishi, der sie herauslassen sollte. Sie wußte zwar, daß sie bei diesem ohren-betäubenden Lärm der Wellen und des peitschenden Regens niemand hören konnte, trotzdem trommelte sie weiter gegen das Holz, bis ihre Hände wund und taub waren.
    Natürlich kam niemand, um ihr zu öffnen. Alle waren zu sehr damit beschäftigt, das Schiff heil durch den Sturm zu manövrieren. Amy aber interessierten die Probleme der Seeleute nicht. Sie hatte die törichte Vorstellung, daß Warren in Sicherheit wäre, solange sie ihn sehen konnte, und daß auch ihr nichts geschehen würde, solange sie ihn sah und wußte, daß ihm nichts passiert war.
    Aus Verzweiflung über ihre Hilflosigkeit begann sie, die Türlatten jetzt auch mit den Füßen zu traktieren. Als sie schließlich wie wild am Knauf rüttelte, sprang die Tür plötzlich auf und stieß Amy zu Boden. Niemand stand davor. Das verdammte Ding war überhaupt nicht abgeschlossen gewesen. Taishi hatte es entweder vergessen oder angenommen, sie würde nicht so verrückt sein, gerade jetzt an Deck zu wollen.
    »Verdammt noch mal«, fluchte sie, als sie sich wieder hochrappelte.
    Die Tatsache, daß sie so plötzlich erreicht hatte, was sie wollte, ließ sie wieder etwas klarer denken. Jedenfalls bemerkte sie, daß sie noch immer splitternackt war, was freilich nichts an ihrer Überzeugung änderte, daß Warren nur dann außer Gefahr war, wenn sie in seiner Nähe war. Sie schnappte sich das erstbeste Kleidungsstück, ein ärmelloses Hemd, und streifte es über, während sie schon zur Tür hinauseilte.
    Weiter aber kam sie nicht. Der Sturm schlug sie mit einer solchen Wucht gegen die Kabinenwand, daß sie sich kaum mehr rühren konnte. Und dann kam eine Riesenwelle, erfaßte sie und spülte sie an den

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