Malory
aufzusetzen, bevor Derek auf der Schwelle stand. Allerdings hatte sie nicht mehr genug Zeit, wach auszusehen.
Sie konnte kaum die Augen offenhalten; ihre Haarna-deln hatten sich gelöst, und die Haare fielen ihr über die Schultern; ihre Nase lief, wie gewöhnlich, und sie schneuzte sich gerade mit Nachdruck in das Taschen-tuch, das sie ständig in der Hand hielt, als er auch schon da war. Du lieber Himmel, sie hatte ganz vergessen, wie gut er aussah, vor allem, wenn er so offizielle Kleidung trug wie jetzt. Das Fest, von dem er gerade kam oder zu dem er später gehen wollte, mußte etwas ganz Besonderes sein, da er so elegant war.
»Hallo, Kelsey, meine Liebe«, sagte er mit zärtlichem Lächeln. »Es ist noch ein bißchen früh zum Schlafen.
War die Reise so anstrengend?«
Sie nickte, dann schüttelte sie den Kopf. Du meine Güte, sie sollte jetzt besser nicht so verschlafen sein.
»Ich wäre schon eher hier gewesen«, fuhr er fort und kam auf sie zu. »Aber meine ganze Familie war auf dem Hochzeitsempfang, von dem ich gerade komme, und es war ziemlich schwierig, unauffällig zu verschwinden.
Was ist übrigens mit deiner Nase los?«
Sie blinzelte. Automatisch fuhr sie sich mit der Hand an die Nase, und als sie spürte, wie rauh sie war, konnte sie sich denken, was er meinte. Sie hatte sich so daran ge-wöhnt, im Cottage keinen Spiegel zu haben, daß sie hier noch nicht einmal auf den Gedanken gekommen war, in einen hineinzublicken, aber sie konnte sich vorstellen, wie ihre Nase aussah.
»Ich habe eine Erkältung«, begann sie, wobei bei der bloßen Erwähnung dieser Tatsache ihre Benom-menheit wachsendem Ärger wich. »Stellen Sie sich nur vor! Eine Erkältung, die ich mir geholt habe, weil ich jeden Tag nach Bridgewater wandern mußte. Sie fragen jetzt vielleicht, warum ich so etwas Dummes getan habe, wo es doch so kalt ist? Nun, ich war am Verhungern, wissen Sie, und da es im Cottage nichts zu essen gab, und auch von nirgendwoher wundersamerweise etwas aufgetaucht ist, war ich gezwungen, auf das einzige Transportmittel zurückzugreifen, über das ich verfügte, nämlich meine Füße, um mir etwas zu essen zu besorgen. Natürlich hatte ich auch kein Geld, also mußte ich mir eine Arbeit suchen, damit ich nicht verhungerte.«
Er erstarrte bei dem bitteren Sarkasmus ihrer Worte, aber lediglich ihre Bemerkung über Arbeit blieb ihm im Gedächtnis haften. Arbeiten bei jemanden ihres Schlages hieß für ihn, daß sie ihre Gunst verkauft hatte.
Und dieser Gedankengang wurde offenkundig, als er scharf fragte: »Und was für eine Arbeit hast du in Bridgewater gefunden?«
Es machte sie wütend, daß ihn nur das interessierte, nach allem, was sie gesagt hatte, und so zischte sie ihn an: »Nicht, was Sie denken! Und wenn schon? Hätten Sie es vorgezogen, daß ich verhungere?«
Da sie ihn offenbar irgendeines Versäumnisses beschul-digte, verteidigte er sich. »Ich will verdammt sein, wenn ich weiß, wovon du redest«, schnarrte er. »Wie kannst du dem Verhungern nahe gewesen sein, wenn ich dir Nahrungsmittel für mehrere Wochen habe schicken lassen? Und mein Kutscher stand auch zu deiner Verfü-
gung, also war es absolut unnötig, jeden Tag zu Fuß irgendwo hinzugehen, es sei denn, du tatest es freiwillig.«
Sie starrte ihn ungläubig an. Entweder litt er an Gedächtnisschwund oder er log. Und was wußte sie eigentlich über ihn, um sicher zu sein, daß er kein Lügner war? Er hatte recht nett gewirkt. Er hatte sich freundlich
benommen.
Aber
das
konnte
natürlich
auch nur Verstellung gewesen sein, damit sie keinen Verdacht schöpfte, und in Wirklichkeit genoß er es, Menschen zu demütigen, und sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Und wenn das stimmte, war sie in einer viel gräßlicheren Lage, als sie angenommen hatte, denn wegen der Versteigerung war sie an ihn gebunden, bis er beschloß, ihre Beziehung zu beenden.
Die Möglichkeit, daß er so grausam sein könnte, machte sie so wütend, daß sie aufsprang und alles nach ihm warf, was ihr in die Finger geriet, wobei sie bei jedem Wurf schrie: »Mir ist kein Essen geschickt worden! Ihr Kutscher ist nicht aufgetaucht bis auf heute! Und wenn Sie denken, Sie könnten mich täuschen und verwirren, indem Sie das Gegenteil behaupten, dann ...«
Weiter kam sie nicht, da er nicht stehenblieb und sich weiter mit Gegenständen bewerfen ließ. Dem ersten wich er geschickt aus, der zweite flog über seinen Kopf, weil er sich bückte und auf sie zusprang, sie
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