Malory
Schiff herauszufinden. Binnen einer Stunde will ich wieder auf See sein.«
Georgina dachte nicht daran, die Anordnung ihres Bruder zu befolgen und postwendend in seiner Kabine zu verschwinden. Er hatte ihr eine Tracht Prügel angedroht, und nach der würde sie die Heimreise im Stehen verbringen können. Ob er es jedoch nur aus seiner momentanen Wut heraus gesagt hatte, oder tatsächlich seinen Gürtel benützen würde, das war Georgina im Augenblick ziemlich gleichgültig.
Oh Gott, war der wütend. Anfangs war Drew nur überrascht gewesen, als er sich umgedreht und sie grinsend hinter ihm gestanden hatte. Plötzlich verwandelte sich seine Überraschung in höchste Sorge, denn er nahm an, nur eine große Katastrophe konnte sie nach Jamaika geführt haben, um nach ihm zu suchen. Als sie ihm jedoch versichert hatte, daß niemand gestorben war, war er doch einigermaßen irritiert gewesen. Aus Spaß hatte er sie geschüttelt, weil sie ihm einen solchen Schrecken eingejagt hatte, dann hatte er seine innig geliebte, einzige Schwester brüderlich in die Arme geschlossen. Als Georgie ganz beiläufig bemerkte, daß sie gerade aus England komme, verlor er buchstäblich die Fassung und begann zu schreien. Dabei war Drew, nach Thomas, einer ihrer sanftmütigsten Brüder.
Im Gegensatz zu Warren, der ein äußerst explosives Temperament besaß, und den zu reizen jeder tunlichst vermied, oder Boyd und Clinton, die immer alles viel zu ernst nahmen, war Drew eigentlich der Luftikus in der Familie, dem die Frauen scharenweise hinterherliefen. Deshalb hätte er es eigentlich am besten verstehen müssen, daß sie versucht hatte, ihren Malcolm zu finden. Statt dessen war er so wütend geworden, daß seine schwarzen Augen Funken sprühten.
Wenn er sie schon verprügeln würde, dann konnte sie sich lebhaft vorstellen, was sie erst von ihren anderen Brüdern zu erwarten hatte. Doch im Augenblick hatte sie wichtigere Sorgen ...
Vor lauter Aufregung, ihren Bruder zu sehen, war sie geradewegs auf sein Schiff gestürmt und hatte dabei vollkommen übersehen, daß die Trifton bereit zum Auslaufen war und sogar schon die Leinen gekappt hatte, während ihr Bruder immer noch wie ein Verrückter getobt hatte. Nun stand sie an der Reling und suchte verzweifelt das Deck der Maiden Anne ab, um einen letzten Blick auf James zu erhaschen.
Als sie ihn schließlich entdeckte, die goldenen Haare vom Wind zerzaust, mit seinen kräftigen, breiten Schultern, da raubte sein Anblick ihr schier den Atem. Die glitzernde Karibische See trennte sie schon zu weit, es war sinnlos, ihn zu rufen - er konnte sie nicht mehr hören. Sie wollte winken, doch er sah nicht einmal in ihre Richtung. Das letzte, was sie von ihm erblickte, war, wie er sein Schiff über den Landungssteg verließ und in der Menge untertauchte.
Oh Gott, er wußte nicht einmal, daß sie weg war. Er dachte sicherlich, sie sei irgendwo an Bord der Maiden Anne und wartete auf seine Rückkehr. All ihre Sachen waren noch auf dem Schiff, unter anderem der geliebte Ring, den ihr Vater ihr geschenkt hatte. Sie hatte ja nicht geahnt, daß sie keine Zeit mehr haben würde, zu packen - aber das war im Moment gar nicht so wichtig. Es schmerzte sie unendlich tief, daß sie keine Gelegenheit gehabt hatte, ihm auf Wiedersehen zu sagen und ihm zu gestehen, daß ... daß sie ihn liebte.
Über diesen Gedanken mußte sie beinahe lachen, es war einfach zu komisch. Du sollst deinen Feind lieben - aber nicht im wörtlichen Sinne. Ein verhaßter Engländer, ein verflucht arroganter Lord, und dennoch: allein der Gedanke an ihn ließ sie innerlich erschaudern und ihr Herz bis zum Hals hinauf schlagen. Zu dumm, daß ihr das passiert war, doch noch viel schlimmer wäre es gewesen, wenn sie ihm ihre Liebe gestanden hätte. Eines Nachts, als sie in seinen Armen lag, hatte sie ihn gefragt, ob er verheiratet sei ...
»Gütiger Himmel, nein!« hatte er entsetzt abgewehrt. »So eine Dummheit werde ich niemals begehen!«
»Und warum nicht?« hatte sie wissen wollen.
»Weil aus allen Frauen treulose Weibsbilder werden, sobald sie einen Ehering am Finger tragen. Nichts gegen dich, Geliebte, aber das ist leider die reine Wahrheit.«
Seine Behauptung erinnerte sie sehr an ihren Bruder Warren, der über Frauen ähnlich dachte, deshalb meinte sie, ihn zu verstehen. »Verzeih, ich hätte mir denken können, daß es in deinem Leben einmal eine Frau gab, die du sehr geliebt hast, und die dich betrogen hat. Aber nicht alle Frauen sind
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