Malory
aufrecht. Keine einzige Silbersträhne durchzog ihr blondes, zu einem Knoten aufgestecktes Haar. Ihre Augen waren herbstlich grau - harte, kalte Augen, aber vielleicht lächelten sie auch manchmal? Reggie zweifelte daran.
In ihrem Äußeren wies sie eine minimale Ähnlichkeit mit ihrer Schwester Eleanor auf, das erschöpfte sich bereits in den Äußerlichkeiten. Die jüngere Schwester strahlte Wärme und Freundlichkeit aus, und davon besaß die Gräfin gar nichts. Wie sollte es ihr wohl möglich sein, mit dieser Frau zusammenzuleben?
»Soll ich Sie Mutter nennen?« fragte sie plötzlich, und die Gräfin zuckte wahrnehmbar zusammen. Sie drehte sich um und sah Reggie direkt an. Die grauen Augen waren starr, die Lippen spöttisch geschürzt. Offenbar ist sie es nicht gewohnt, angesprochen zu werden, ehe sie sich dazu herabläßt, das Wort an jemanden zu richten, überlegte Reggie.
Mit spröder Stimme erwiderte Miriam: »Bloß nicht. Ich bin genauso wenig Ihre Mutter wie...«
»Ach, du meine Güte«, fiel Reggie ihr ins Wort. »Ich dachte mir schon, daß Sie sich Nicholas entfremdet haben, da Sie nicht zu unserer Hochzeit gekommen sind, aber ich...«
»Ich wurde hier gebraucht«, sagte Miriam steif.
»... mir war nicht klar, daß Sie Ihren Sohn derart abge-schrieben haben«, beendete Reggie ihren Satz.
»Was tun Sie hier ohne Nicholas?« fragte Miriam.
»Nicholas und ich passen einfach nicht zusammen, verstehen Sie, und daher ist es wohl unmöglich, daß wir zusammenleben«, antwortete Reggie.
Es entstand eine erstaunte Pause. »Warum habt ihr dann geheiratet?«
Reggie zuckte die Achseln und lächelte sie strahlend an. »Es schien eine gute Idee zu sein. Jedenfalls für mich.
Ich hatte den ständigen Partyrummel satt, und mir ist das Landleben ohnehin lieber.«
»Das erklärt noch nicht, warum Nicholas geheiratet hat.«
Reggie zog eine Augenbraue hoch. »Das wissen Sie doch sicher. Ich selbst war nicht dabei, als Nicholas sich einverstanden erklärt hat, mich zu heiraten, aber Ihre Schwester und Ihre Schwiegermutter haben an diesen Verhandlungen teilgenommen.«
Miriam sah sie finster an. Natürlich konnte sie dieselbe Frage nicht noch einmal stellen. Und sie wollte auch nicht eingestehen, daß sie keinen Kontakt mit Eleanor und Rebecca hatte. Jetzt mußte sie weiterhin an dieser Eheschließung herumrätseln, und genau das beabsichtigte Reggie.
»Wir leben hier ziemlich abgeschieden«, warnte Miriam.
Reggie lächelte. »Das klingt ganz wunderbar. Ich be-daure nur, daß ich Sie bitten muß, sich andere Zimmer auszuwählen.«
Miriam richtete sich steif auf. »Man sagte mir, Sie hätten sich in Nicholas' Zimmern eingerichtet.«
»Aber auf die Dauer ist das nichts, verstehen Sie. Ich brauche das Kinderzimmer ganz in meiner Nähe.« Sie tätschelte liebevoll ihren Bauch.
Die Gräfin schien kurz vor einem Erstickungsanfall zu stehen. »Unsinn! Sie können nicht guter Hoffnung sein.
Sie haben gestern erst geheiratet, und selbst wenn Sie nach der Hochzeit in irgendeinem Gasthaus angehalten haben, können Sie unmöglich jetzt schon wissen...«
»Sie vergessen den Ruf Ihres Sohnes, Lady Miriam. Nicholas ist ein geschickter Verführer. Ich war seinem Charme hilflos ausgesetzt. Jetzt bin ich im vierten Monat.«
Die Gräfin starrte Reggies Bauch an.
»Ist es nicht ein Glück, daß man noch nichts sieht?«
»Ich verstehe nicht, wie Sie überhaupt auch nur in irgendeiner Hinsicht von Glück sprechen können«, entgegnete Miriam herablassend. »Die Leute können nämlich zählen. Es ist eine Schande, daß Sie nicht einmal erröten, wenn Sie - einfach eine Schande.«
»Ich erröte nicht, Madam, weil ich mich nicht schäme«, erklärte Reggie kühl. »Und ich habe auch keine Schuldgefühle. Wenn mein Kind fünf Monate nach der Eheschlie-
ßung geboren wird - nun, andere Kinder sind schon frü-
her auf die Welt gekommen. Zumindest habe ich einen Ehemann, selbst wenn er sich nicht allzuoft blicken lassen wird. Und mein Kind trägt seinen Namen. Wenn man den Ruf Ihres Sohnes bedenkt, wird sich niemand allzusehr darüber wundern, daß er sich während der vier Monate unserer Verlobung nicht vertrösten lassen wollte.«
»Also, das hätte ich ja nie getan!«
»Haben Sie es denn nicht getan?«
Miriam Eden wurde ob dieser Anspielung scharlachrot und stolzierte aus dem Zimmer. Reggie seufzte. Sie hatte sich ihr Bett selbst gemacht, und wie man sich bettet, so liegt man. Eigentlich hätte sie sich nicht mit der
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