Malory
Madam«, sagte Hallie.
»Die Gräfin... Ach du meine Güte, die Gräfinwitwe, das ist sie doch jetzt? Genauso wie die alte Frau, die Großmutter seiner Lordschaft. Aber Lady Miriam wird es kaum erwarten können, Sie willkommen zu heißen, ich bin ganz sicher«, beteuerte sie höflich, doch ihre Stimme klang, als wäre sie keineswegs davon überzeugt. »Darf ich Ihnen etwas bringen? Cognac steht auf dem Tisch, und der Maul-beerwein, den die Gräfin mag, steht auch da.«
»Nein, danke, ich werde es mir einfach nur bequem machen«, erwiderte Reggie lächelnd.
»Gut, Madam. Und darf ich Ihnen als erste sagen, wie froh ich bin, daß Sie gekommen sind? Ich hoffe, daß es Ihnen hier gefällt.«
»Das hoffe ich auch, Hallie«, seufzte Reggie. »Ich hoffe es wirklich.«
21.
Reggie sah in die Morgensonne, die gerade vorsichtig in ihr Schlafzimmer lugte. Direkt unter ihren Südfenstern lag die runde Kuppel des Gewächshauses, dahinter der Teil des Gartens, in dem sich die Dienstboten aufhalten durften. Dichtes Gehölz verbarg die Ställe und die Schup-pen für die Kutschen.
Sie bewohnte das herrschaftliche Schlafzimmer an der rechten hinteren Ecke des Zentralbaus. Somit hatte sie zwei Wände mit Fenstern, vor denen blutrote Samtvor-hänge mit Goldfransen und goldenen Troddeln hingen.
In diesem Zimmer waren alle Farben dunkel gehalten, wenn man vom gedämpften Blau der Tapete absah. Dennoch würde es später, wenn durch alle Fenster Licht her-eindrang, ein freundliches Zimmer sein.
Die andere Fensterwand bot einen Ausblick auf eine Parklandschaft. Es war eine überwältigende Aussicht -
Rasenflächen mit vereinzelten Bäumen, links ein Wald mit goldenem und rotem Herbstlaub. Rechts ein kleiner See, der eine wahre Farbenpracht war, denn seine Ufer säumte ein Teppich aus spät blühenden wilden Blumen, und das Blau des Sees funkelte in der Sonne. Was für ein friedliches, wohltuendes Bild, das zu dieser frühen Stunde unbeeinträchtigt war... Fast hätte Regina ihre Sorgen dar-
über vergessen. Aber nur fast.
Sie läutete ihrem Mädchen und hoffte, sie würde nicht Mrs. Oates, die Haushälterin, zugeteilt bekommen, die genauso war, wie Hallie sie beschrieben hatte, nämlich ein Drache. Was für ein derbes, heuchlerisches, widerliches Geschöpf! Wenn man sich nur vorstellte, daß sie darauf beharrt hatte, Reggie in ein Gästezimmer zu führen, und noch dazu in ein besonders kleines! Reggie hatte sich augenblicklich dagegen verwahrt. Zugegebenermaßen waren die Räume, die der Dame des Hauses zugedacht waren, von Miriam Eden belegt, von der man nicht erwarten konnte, daß sie sie über Nacht räumte, aber sie hatte darauf hingewiesen, daß die Räumlichkeiten des Hausherrn leer standen und ihr durchaus angemessen waren.
Die Haushälterin war entgeistert gewesen. Nur ein kleines Wohnzimmer lag zwischen den beiden großen Schlafzimmern, von denen jedes eine Tür zum Wohnzimmer hatte. Lady Miriam okkupierte das andere Schlafzimmer.
Reggie setzte ihren Kopf durch, nachdem sie Mrs.
Oates behutsam darauf hingewiesen hatte, sie wäre die neue Hausherrin. Miriam Eden mochte zwar nach dem Tode ihres Gatten weiterhin in Silverley residiert haben, aber in Wirklichkeit gehörte Silverley Nicholas, und Reggie war Nicholas' Frau.
Mrs. Oates ersuchte sie zu schweigen, als sie durch das Wohnzimmer gingen, das an Miriams Zimmer grenzte.
Reggie wurde mitgeteilt, die Gräfin würde sich nicht wohl fühlen und hätte sich frühzeitig zurückgezogen. Dies wäre auch der Grund dafür, daß sie Reggie nicht gebührend begrüßen könnte.
Reggie atmete verstohlen auf. Sie war erschöpft, die Abwesenheit ihres Mannes machte sie verlegen, nachdem sie ihn doch erst vor wenigen Stunden geheiratet hatte.
Und in ihrer Bitterkeit wäre sie einer Begegnung mit ihrer Schwiegermutter, einer völlig fremden Frau, wohl kaum gewachsen gewesen.
Sie hatte sich in Nicholas' Zimmer eingerichtet und festgestellt, daß es auffallend frei von persönlichen Gegen-ständen war. Irgendwie wurde dadurch alles noch schlimmer.
Die Hausangestellte, die auf Reggies Läuten hin erschien, war dunkelhaarig und dunkelhäutig und das genaue Gegenteil der redseligen Hallie. Sie sprach kaum ein Wort, während sie Regina beim Ankleiden half, sie fri-sierte und ihr das Frühstückszimmer zeigte.
Dieser Raum lag an der Vorderseite des Hauses, vom Licht der Morgensonne erfüllt. Der Tisch war nur für eine Person gedeckt. Ein Affront? An einer Wand stand ein
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