Malory
worden war, diesen Vorwand geliefert hatte? Dieser empörende Mann!
Sie würde nicht ohne Eleanor nach Silverley gehen. Das fehlte ihr gerade noch, mit zwei unfreundlichen Menschen auf dem Land festzusitzen. Nein, Eleanor mußte mitkommen. Aber sie sagte es Nicholas nicht, sie sagte es seiner Tante. Ellie weigerte sich erst, aber Reggie setzte ihren Willen durch.
Für den Rest des Tages hatten sie alle Hände voll zu tun
- alle bis auf Nicholas, der einfach herumstand und zufrieden den Tumult beobachtete, den er hervorgerufen hatte.
Reggie fand keine Zeit, sich von irgendwelchen Familienangehörigen zu verabschieden. Eilig geschriebene Nachrichten mußten genügen. Aber selbst wenn alle einspran-gen, um ihr behilflich zu sein - alle bis auf Nicholas - war es doch schon fast Abend, als der letzte Koffer auf einen weiteren Wagen verladen worden war, den Nicholas her-beigezaubert hatte.
Reggie sprach nicht mehr mit dem Vicomte, aber ihre Verärgerung saß tiefer und war nicht nur durch den Un-fug ausgelöst worden, den er heute angeordnet hatte.
Das, was sie eigentlich verstörte, war ihr Zusammentref-fen mit ihm in den frühen Morgenstunden. Ganz gleich, was er auch beabsichtigt hatte - es war ihm gelungen, sie um den Schlaf zu bringen. Es lag nicht daran, daß er sie ge-küßt hatte. Wenn sie sich selbst gegenüber wirklich ehrlich war, lag es daran, daß er ansonsten nichts getan und es bei diesem flüchtigen Kuß belassen hatte.
Das verwirrte sie. Wie konnte sie ihn nach all dem, was er ihr angetan hatte, immer noch begehren? Aber sie begehrte ihn wirklich. Sie hatte ihn in der Tür stehen sehen, sein seidener Morgenmantel fast bis zur Taille geöffnet, sein zerzaustes Haar mit den hellen Strähnen, der ein-dringliche Blick in diesen honigfarbenen Augen, und ein Verlangen hatte sie erfaßt, so stark, daß es sie ängstigte.
Dieser Anblick genügte, um sie alle die Monate vergessen zu lassen, in denen sie ihn verflucht hatte.
Was sollte sie bloß tun? Es war nicht so, daß sie ihm verziehen hätte. Nein, sie würde ihm nicht verzeihen, und sie durfte sich nicht nach ihm sehnen.
Eleanor, Tess und das Baby fuhren mit Nicholas und Reggie in der größeren Kutsche, und Meg, Harris und Eleanors Zofe saßen in der kleineren. Von drei Frauen umgeben, fehlte es Thomas nicht an weichen Busen, an denen er schlafen konnte. Während der meisten Zeit war er ein stummer Fahrgast, und die Frauen unterhielten sich leise. Nicholas wirkte betont gelangweilt. Sie dagegen ignorierten ihn völlig, und Reggie zögerte nicht einmal, ihr Kleid hinunterzuziehen und ihren Sohn zu stillen, als er unruhig wurde. Sollte er doch etwas dagegen einwenden. Sollte er doch den Mund aufmachen.
Plötzlich vollzog sich eine Wandlung mit Nicholas. Das hochmütige Gebaren, das seine Frau an den Tag gelegt hatte, amüsierte ihn, und sogar die bösen Blicke seiner Tante fand er komisch, denn die freundliche, liebevolle Eleanor hatte es noch nie fertiggebracht, ihm lange böse zu sein. Es überraschte ihn ein wenig, daß sie nach Silverley mitkam, denn sie war seit dem Tod seines Vaters vor sechs Jahren nicht mehr dort gewesen. Er nahm an, daß Eleanor glaubte, Regina brauchte moralischen Beistand, und das belustigte ihn und verletzte ihn zugleich.
Sein Amüsement war jedoch nur ein kleiner Teil des Strudels an Gefühlen, in den er gesogen wurde. Er mußte wirklich ein lasterhafter Mensch sein, wenn ihn allein der simple Vorgang, daß Regina das Kind stillte, derart erregte, aber er war aufgewühlt. Eine mitfühlende Stimme in seinem Hinterkopf flüsterte, er würde sich selbst zu hart beurteilen. Er vergaß ganz, daß Regina schon immer diese Wirkung auf ihn ausgeübt hatte.
Diese Erkenntnis half ihm überhaupt nicht. Regina würde
seine
Annäherungsversuche
abprallen
lassen.
Und er würde sich zu einem absoluten Idioten machen, wenn er versuchte, seine eigene Frau zu umwerben, oder etwa nicht? Wenn sie im selben Schlafzimmer schliefen, konnte ihm die Nähe eine Hilfe sein. Schließlich war sie eine leidenschaftliche Frau. Aber das Haus, aus dem sie gerade kamen, war ebenso wie Silverley, so daß weder da noch dort die Notwendigkeit bestand, zu zweit in einem Zimmer zu schlafen.
Es gab nur eine Möglichkeit, je im selben Zimmer mit ihr zu schlafen, und zwar die, daß sich die Notwendigkeit ergab, und das war unwahrscheinlich... Andererseits...
Bei Gott, ja! Es gab eine Möglichkeit, und fast hätte er sie übersehen, eine Gelegenheit, die
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