Malory
Wahl nach deinem Gutdünken treffen.«
»Aber ich weiß nicht, wie man einen Mann für sich gewinnt. Wie soll ich das machen? Du erwartest zuviel von mir.«
»Zweifle nicht an dir, mein Kind. Sieh dich an! Du bist eine Schönheit. Du hast das prächtige schwarze Haar deiner Mutter, das gerade genug gelockt ist, um verführerisch zu sein. Und du hast die tiefblauen Augen deines Vaters, wie man sie sich nicht schöner vorstellen kann, und seine helle Haut. Außerdem hast du von deiner Mutter die Gabe des Hellsehens geerbt und ihre Leidenschaftlichkeit. Sie hat sich viel Arger mit der Gruppe eingehandelt, um einen Gajo zu schützen, mit dem sie Mitleid hatte. Du hast das gleiche getan. Du verhext jeden Mann, der dich anblickt. Bisher ist es dir nur entgangen, weil es dir gleichgültig war.«
»Ich sehe nur nicht, wie das möglich sein wird, in so kurzer Zeit. Zwei Monate ...«
»Eine Woche«, unterbrach sie Maria unerbittlich.
»Aber ...«
»Eine Woche, Anna, nicht länger. Gehe morgen in die Stadt hier in der Nähe. Sieh dir jeden Mann, dem du begegnest, aufmerksam an. Sprich mit denen, die dich interessieren. Setze dein Talent ein, es wird dir helfen.
Aber triff eine Wahl, und bring ihn dann zu mir. Ich werde wissen, ob du gut gewählt hast.«
»Aber will ich überhaupt gut wählen?«
Eine Frage wie diese mochte andere verwirren, nicht aber Maria. »Hast du im Sinn, dich nur kurzfristig an diesen Mann zu binden und dich dann von ihm scheiden zu lassen, damit du zur Gruppe zurückkehren kannst? Nur du kannst diese Frage beantworten, mein Kind, wenn du damit leben kannst, einen Mann so auszunutzen. Ich hätte keine Schwierigkeiten damit, aber ich bin nicht du. Ich glaube, dir wäre es lieber, mit deiner Wahl glücklich zu werden, so daß deine erste Hochzeit auch deine einzige bleibt.«
Natürlich hatte Maria recht. Von einer Ehe in die nächste zu wechseln war auch nicht viel anders, als von Mann zu Mann zu wandern. Anastasia jedenfalls sah darin keinen großen Unterschied. Für sie währte Liebe ewig. Alles andere konnte keine Liebe sein.
Leider sah sie nicht, wie sie in der kurzen Frist, die Maria ihr gesetzt hatte, einen Mann finden sollte, noch dazu einen Engländer, um mit ihm eine glückliche Ehe zu führen. Noch einmal wollte sie den Zeitdruck, unter dem sie stand, geltend machen, als Marias Gesichtsausdruck wieder sehr ernst wurde.
Abermals umschlossen die gichtigen Finger ihre Hand.
»Da ist noch etwas, das ich dir sagen muß und das ich dir viel zu lange verschwiegen habe. Ich werde diesen Ort nicht verlassen.«
Anastasia zog die Stirn kraus und dachte, Maria wolle mit ihr und dem englischen Ehemann hier bleiben. So sehr sie sich das auch von Herzen wünschte, wußte sie, daß Iwan es niemals gestattet hätte.
Anastasia tat es nur ungern, aber sie mußte es zur Sprache bringen. »Du hast mir unzählige Male gesagt, Iwan läßt dich nicht gehen; vorher würde er dich umbrin-gen.«
Maria lächelte ein wenig spöttisch. »Er kann nichts tun, um mich dieses Mal am Fortgehen zu hindern, Anna.
Aus Achtung vor dem Alter kann man einem Menschen den letzten Ruheplatz nicht verweigern, und ich habe mich für diesen Platz entschlossen. Meine Zeit ist gekommen.«
»Nein!«
»Schsch, Tochter meines Herzens. Darüber kann man weder streiten noch feilschen. Ich habe auch nicht den Wunsch, das Unausweichliche hinauszuschieben. Ich begrüße das Ende mit Freuden, beendet es doch die Schmerzen, die mir in den letzten Jahren aufgebürdet waren. Vorher muß ich dich versorgt wissen, sonst kann ich nicht in Frieden gehen ... Bitte, hör auf damit. Zum Weinen besteht kein Grund, nicht, wenn es sich um so etwas Natürliches handelt wie den Tod einer sehr alten Frau.«
Anastasia schlang die Arme um ihre Großmutter und verbarg das Gesicht an ihrer Schulter, damit sie die Tränen nicht sah, die sie nicht mehr aufhalten konnte.
Maria hatte Kummer angekündigt. Aber Kummer empfand Anastasia in diesem Augenblick nicht, als die Welt um sie herum in Stücke brach. Es war viel zuviel, um es auf einmal zu verkraften.
Aber um Marias willen sagte sie: »Ich werde alles tun, was nötig ist, um dir deinen Frieden zu geben.«
»Das wußte ich, mein Kind«, antwortete Maria und strich ihr tröstend über den Rücken. »Und du verstehst jetzt, warum du heiraten mußt? Wenn du die einzige bist, die Iwan noch hat, dann wird er dich auf keinen Fall gehen lassen. Solange er aber in dem Glauben ist, er hätte noch mich, wird er
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