Malory
ersten Auftritt vorbereitet war, flogen die Einladungen ins Haus. Anastasia war dank Elizabeths Geschick, Gerüchte in Umlauf zu setzen, bereits bei allen Londoner Gastgeberinnen hoch begehrt, obwohl sie bis jetzt noch nicht vor dem Publikum erschienen war. Ihre Premiere würde sie bei dem Kostümfest haben, das Lady Victoria für das kommende Wochenende angesagt hatte.
Christopher sollte dafür keine Einladung erhalten.
Man wollte abwarten, ob er sich überhaupt zeigte.
Würde er sich dann von ihr lossagen oder sich als ihr Ehemann bekennen? Alles war möglich – und daher rührte die Aufregung der Damen. Sie hatten den Stein ins Rollen gebracht.
Die mit der Ausführung des Plans verbundenen Um-triebe halfen Anastasia über ihren ersten Schmerz hinweg. Schließlich mußte sie nicht nur den Verlust ihrer Großmutter und ihres ›Ehemanns für eine Nacht‹
überwinden, sie hatte auch die Zigeuner verloren, die Menschen, unter denen sie aufwuchs; Menschen, die sie liebte, die ihre Freunde waren, an denen ihr lag. Sie mußte sich von allen verabschieden, auch wenn sie nicht damit rechnete, daß es für immer sein würde. Zigeuner trennten sich niemals für immer, nur im Tod.
Sie erwarteten, alten Freunden und Bekannten auf ihren Reisen wiederzubegegnen.
Der Tag des Kostümfestes war gekommen. Anastasia empfand eine gewisse Vorfreude, obwohl sie nicht mit Christophen Erscheinen rechnete, da man ihn absichtlich nicht auf die Liste der Gäste gesetzt hatte. Wenn ihre Freunde mit dem Plan Erfolg haben wollten, mußte alles wie zufällig aussehen. Die Neugierde des Marquis sollte geweckt werden und sein Bedauern, diese Frau aufgegeben zu haben, so groß sein, daß er sie zurückhaben wollte; außerdem sollte es ihm leicht-gemacht werden, seine Devise ›so etwas tut man nicht‹
über Bord zu werfen. Statt dessen wollte man ihm zeigen, wie man ›etwas tat‹.
Ironischerweise spielte Anastasia bei der ersten Vorstellung, die sie vor Seinesgleichen gab, sich selbst. Das Ko-stüm, das sie trug, war keine Maskerade, sondern ihr goldfarbenes Tanzkleid. Für diejenigen, die sich auf dem Ball eingefunden hatten, um sie kennenzulernen, hatte sie sich als Zigeunerin verkleidet. Und die Gäste waren begeistert! Sie war die Sensation des Abends.
Obwohl sie darauf bestand, diese ›Farce‹ mit der Wahrheit zu beginnen oder zumindest einem Teil davon, wich sie trotzdem den meisten Fragen aus. Auf das ›Geheimnisvolle‹ komme es an, hatten ihr die neuen Freunde eingehämmert, als sie sich für ihr erstes Erscheinen in der Gesellschaft vorbereitete. »Laß sie im unklaren, gib ihnen Rätsel auf, gib niemals die wirkliche Wahrheit preis, höchstens im Scherz.«
Was ihr nun gar nicht schwerfiel. Zigeuner verstanden es meisterlich, Ausflüchte zu ersinnen und sich mit Ge-heimnissen zu umgeben. Sie war damit groß geworden, obwohl sie bis zum heutigen Abend nur selten von diesem Talent Gebrauch gemacht hatte.
Der Abend verlief prächtig und übertraf die Erwartungen ihrer Freunde. Drei ernstgemeinte, wenn auch im-pulsive Heiratsanträge und acht Anträge, die nicht ganz so sittsam vorgetragen wurden, bescherte ihr dieser Abend. So machte sich etwa ein junger Mann zum Narren, als er mitten unter den Tanzenden auf die Knie fiel und ihr in voller Lautstärke einen Antrag machte. Zwei andere Herren wurden handgreiflich, als sie um ihre Aufmerksamkeit wetteiferten.
Christopher erschien nicht. Obwohl Lord William be-stätigt wurde, daß er in London war, wußte er nicht mit Sicherheit, ob er von Anastasia gehört hatte. Der neue Klatsch aber würde morgen schon die Runde machen. Er würde von ihr hören. Es war nur noch eine Frage der Zeit ...
Kapitel Zweiundzwanzig
C hristopher brachte es nicht fertig, jetzt, da er wieder in London war, zu seinem üblichen Tagesablauf zu-rückzufinden. Seine geschäftlichen Pflichten in Haverston hatte er eilig hinter sich gebracht, dann hatte er seinem Verwalter zu dessen großem Entsetzen kurzer-hand gekündigt, aber keine Anstrengungen unternommen, einen Ersatz zu finden. Seine einzigen Unternehmungen schienen darin zu bestehen, stundenlang ins Kaminfeuer zu starren und darüber nachzugrübeln, was er hinsichtlich Anastasia Stephanowa hätte tun oder besser lassen sollen.
Diese Frau ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Seit fast zwei Wochen hatte er sie nicht mehr gesehen, doch könnte er sie malen, als ob sie vor ihm stünde.
Nackt, erzürnt, unter ihm im Bett. Die Bilder verfolgten ihn
Weitere Kostenlose Bücher