Malory
wird kommen.«
Das war wahrscheinlich der einzige dunkle Punkt in einer Reihe von wunderbaren, ungetrübten Erfahrungen, die sie machte, während sie mit ihrem Vater auf den Inseln lebte. Sie wusste, dass es nicht ewig so weitergehen konnte. Irgendwann würde sie heiraten, und sie freute sich sogar darauf. Sie sehnte sich danach, das zu bekommen, was sie als Kind vermisst hatte – eine normale, liebevolle Familie, die fest zusammenhielt.
Gabrielle flirtete sogar hin und wieder mit hübschen Seemännern, die jedoch stets wieder fortsegelten, was ihr nichts weiter ausmachte, da sie in den ersten Jahren auf St. Kitts wirklich nur eines wollte: Zeit mit ihrem Vater verbringen und all die Jahre aufholen, die sie getrennt gewesen waren.
So vergingen fast drei Jahre, dann kehrte Charles Millford von seiner Schule im Ausland zurück. Der sehr attraktive Sohn einer feinen englischen Familie, die eine Zuckerplantage auf der Insel besaß, schien an Gabrielle ebenfalls recht interessiert zu sein – bis er herausfand, wer ihr Vater war, und ihr daraufhin taktloserweise auch noch erklärte, warum er die Bekanntschaft nicht fortführen könne. Dabei ging es nicht einmal darum, dass Nathan Pirat war! Das wusste ja niemand auf St. Kitts. Es war, weil die Millfords ihn für einen gemeinen Bürgerlichen hielten. Sie waren derart hochnäsig, dass Gabrielle ihnen deswegen für ihren einzigen Sohn nicht gut genug war.
Gabrielle war am Boden zerstört, als Charles ihr fortan die kalte Schulter zeigte, obwohl sie es gut verbarg. Sie hatte nicht die Absicht, ihren Vater wissen zu lassen, dass der einzige Mann, den sie ernstlich als Ehemann in Betracht gezogen hatte, sie seinetwegen nicht haben wollte.
Doch die Insel war klein. Irgendwie fand Nathan die Sache heraus. Gabrielle hätte es an der ungewohnten Nachdenklich-keit merken müssen, die er plötzlich an den Tag legte, aber da er nichts sagte, wollte sie ihn nicht bedrängen. Erst als sie einmal ihre bevorstehende Volljährigkeit erwähnte, und Ohr, einer von Nathans treuen Gefolgsleuten, daraufhin sagte, »Und da ist sie noch nicht verheiratet?«, handelte Nathan. Er wurde ganz blass und rief sie noch am gleichen Abend zu sich ins Arbeitszimmer.
Nach seiner Reaktion auf Ohrs Bemerkung vermutete sie, dass er über ihre Heiratsaussichten auf der Insel sprechen wollte. Was er jedoch wirklich beschlossen hatte, hätte sie sich nie träumen lassen.
Kaum dass sie in dem Sessel vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatte, sagte er: »Ich schicke dich zurück nach England.«
Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Sie musste nicht einmal darüber nachdenken. »Nein.«
Er lächelte sie an. Es war ein trauriges Lächeln. Und er versuchte gar nicht erst zu diskutieren. Da Nathan Gabrielle gern glücklich sah, gewann sie normalerweise jeden Disput, den sie hatten.
Nathan erklärte schlicht: »Du weißt, dass deine Mutter und ich nicht gut zusammenpassten. Sie kam aus der Oberschicht, während meine Eltern auf der unteren Stufe der Ge-sellschaftsleiter standen. Wohlgemerkt, ich brauche mich für nichts zu schämen, nicht was meine Erziehung angeht. Ich bin in Dover aufgewachsen. Meine Eltern waren gute, hart arbei-tende Leute. Doch deine Mutter hat es nie so gesehen, daher erfand sie für ihre Freunde großartige Geschichten über meine Herkunft und warum ich kaum zu Hause war.«
»Das weiß ich doch alles, Papa.«
»Ja, das ist mir klar, doch es ist so, dass aufgrund der Herkunft deiner Mutter blaues Blut in deinen Adern fließt. In diesem Teil der Welt wird dir das aber niemand glauben. Und außerdem ist mir heute aufgegangen, wie viel ich dir vorent-halten habe, indem ich dich bei mir behielt: eine Saison in London, all die großen Bälle und Festlichkeiten, die einem Mädchen aus der oberen Gesellschaftsschicht zustehen – alles, was deine Mutter für dich gewollt hat, unter anderem einen Ehemann aus den besseren Kreisen.«
Gabrielle senkte den Kopf. »Du weißt das mit Charles Millford, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Nathan ruhig. »Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt, den alten Millford zu fordern.«
Ihr Kopf schoss in die Höhe. »Das ist nicht dein Ernst!«
Er grinste. »Durchaus, aber ich dachte, ich frage dich besser vorher, ob du den Burschen wirklich liebst.«
Gabrielle dachte einen Augenblick nach und gestand:
»Nicht so, wie es sein sollte. Ich bin sicher, dass ich es gekonnt hätte, aber um ehrlich zu sein, glaube ich, dass ich einfach nur bereit war,
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