Malory
herauszukommen, also hatten sie reichlich Zeit, sofern es keine Schwierigkeiten gab.
Gabrielle sah zu, wie das Ruderboot zu Wasser gelassen wurde. Das Mondlicht, das durch die Wolken schimmerte, reichte aus, um zu sehen, dass James von seinem Schiff aus bereits an Land ruderte. Jetzt fühlte sie sich ruhiger, es war ihr gelungen, ihre Ängste zu unterdrücken, doch sie lauerten dicht unter der Oberfläche. Beim kleinsten Anlass konnte das Zittern wieder einsetzen.
Sie hätte darauf bestehen sollen mitzugehen. Doch in ihren wenigen klaren Momenten wusste sie, dass sie nur im Weg sein würde. Falls die Männer sich ihren Zugang zur Festung er-kämpfen mussten, konnte sie kaum von Nutzen sein. Doch es würde die reine Qual werden, auf dem Schiff auf ihre Rückkehr warten zu müssen.
Ohr drückte Gabrielle kurz an sich, ehe er sich am Rumpf herabließ. »Mach dir keine Sorgen«, sagte er. »Ehe die Nacht vorbei ist, wirst du Nathan Wiedersehen.«
»Ich weiß. Sei bloß vorsichtig.«
Kaum hatte Gabrielle das gesagt, zog Drew sie in seine Ar-me. Und dann gab er ihr vor versammelter Mannschaft einen überaus zärtlichen, herzergreifenden Kuss. Während Gabrielle seinen Kuss erwiderte, seine Nähe und die wunderbaren Gefühle genoss, die sie durchströmten, stieg Angst in ihr auf.
Das Zittern begann wieder, doch Drew ließ sie los, bevor er es bemerken konnte – und außerdem hätte er es auch ihrer leidenschaftlichen Reaktion zuschreiben können. Gabrielle presste die Finger an die Lippen, als sie ihn über die Reling klettern sah.
»Ich verstehe einfach nicht, was er an sich hat, dass du ihn liebst«, bemerkte Richard, der neben sie getreten war.
»Machst du Witze? Er ist . .«
Gabrielle stockte, als sie erkannte, was sie soeben zugegeben hatte. Gütiger Himmel, war sie deswegen ängstlicher als nötig? Weil Drew sich in Gefahr begab? Sie liebte ihn. Was für eine Dummheit.
Richard legte ihr den Arm um die Schulter. »Es wird schon werden, chérie. Er ist verrückt nach dir.«
»Er ist verrückt nach allen Frauen.«
Richard kicherte leise. »Ich auch, aber ich würde sie alle aufgeben für ...«
»Sei still!«, unterbrach Gabrielle ihn ernst. »Richard, bitte hör auf, dich nach der Frau eines anderen zu sehnen. Malory wird keinen weiteren Übergriff dulden. Ich bekomme Angst um dein Leben, wenn du in dieser Beziehung nicht vernünftig wirst.«
»Wer sagt, dass Liebe vernünftig ist?«
Zum Teufel, Richard hatte recht. Liebe hatte mit Vernunft rein gar nichts zu tun.
Gabrielle seufzte und wünschte Richard gute Nacht. Sie hoffte, dass es ihr möglich sein würde, während des angespannten Wartens auf die Rückkehr der Männer zu schlafen, doch sie konnte ihre flatternden Nerven nicht beruhigen. Wie lange sie in Drews gemütlichem Bett gelegen hatte, wusste sie nicht, doch am Ende gab sie die Einschlafversuche auf und ging wieder an Deck – gerade rechtzeitig, um die beiden Boote vollbesetzt mit Männern zurückkehren zu sehen.
Es hatte geklappt! Sie war so unglaublich erleichtert, dass ihr beinah die Knie weich geworden wären. Gabrielle wankte zur Reling und versuchte, ihren Vater in einem der Boote aus-zumachen, doch der Mond war mittlerweile hinter dichten Wolken verborgen, sodass sie nur Ohr erspähte. Auch er war kaum zu erkennen, eigentlich nur, weil er in dem Boot stand, das – James’ Schiff ansteuerte? Warum kam er nicht zurück auf die Triton? Und warum zum Teufel stand er aufrecht? Er wusste doch, dass das gefährlich war.
Jeder Muskel in ihrem Körper schien sich anzuspannen. Da lief etwas schief, völlig schief ...
Kaum war Gabrielle zu diesem Schluss gekommen, schrie Ohr: »Es ist eine Falle!«, und sprang ins Wasser.
Sofort wurden mehrere Schüsse auf ihn abgefeuert, offenbar waren die ganze Zeit Gewehre auf ihn gerichtet gewesen.
Ohr tauchte nicht wieder auf.
Beinahe gelähmt von der Angst, die sie plötzlich ergriff, umklammerte Gabrielle die Reling. Er durfte nicht tot sein.
Nicht ihr lieber Freund Ohr. Seine Warnung war ohnehin zu spät gekommen. Er war umsonst gestorben! Andere Männer waren vorausgeschwommen und kletterten schon an beiden Schiffen hoch, nein, sie stürzten sich bloß in das wüste Ge-tümmel, das an Bord herrschte.
Rundherum hörte sie jetzt Kampfgeräusche und Pistolenschüsse. Gabrielle drehte sich um und sah einen Mann, der sich über einen leblosen Körper beugte. Er schaute zu ihr auf und grinste. Sie kannte ihn ebenso wenig wie den Mann, der ihn zur
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