Malory
mitan-gefasst. Wenn ihr Vater ohne sie fortsegelte, war sie manchmal mehrere Wochen am Stück mit Margery allein geblieben, und es hatte ihr gefallen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.
Die Schatzsuche mit ihrem Vater hatten ihr viel Spaß gemacht und sie würde diese Abenteuer vermissen, wenn sie verheiratet war. Doch hauptsächlich missfiel es ihr, erneut davon abhängig zu werden, dass andere ihre Angelegenheiten für sie regelten. Daher ging es ihr einfach gegen den Strich, diesen englischen Lord um Hilfe bitten zu müssen.
»Wir könnten ihn auch so lange als Geisel halten, bis er einen Mann für dich gefunden hat«, sagte Richard grinsend.
Gabrielle merkte, dass er sie damit nur auf den Arm nehmen wollte, deshalb lächelte sie zurück. Eins musste man Richard lassen: er hatte ein Talent dafür, von Dingen abzulenken, an die man nicht denken wollte. Und sie musste aufhören, über diesen großen, hübschen Kerl nachzudenken, dem sie heute Nachmittag im Hafen über den Weg gelaufen war.
Gütiger Himmel, der Mann hatte Eindruck auf sie gemacht. Sie hatte eine volle Breitseite abgekriegt, wie ihr Vater es ausgedrückt hätte, fast hätte es sie aus der Bahn geworfen.
Kein Wunder, dass sie so eine Närrin aus sich gemacht hatte.
Doch es wäre ihr noch viel peinlicher gewesen, wenn der Mann bemerkt hätte, dass sie ihn mit offenem Mund angestarrt hatte. Denn dabei hatte sie sich ertappt, bevor er in ihre Richtung gesehen hatte.
Er war ein Riese von einem Kerl mit ungebärdigen gold-braunen Locken. Und sie hätte schwören können, dass seine Augen schwarz waren, so dunkel hatten sie ausgesehen. Was für eine tolle Figur der Mann hatte und hübsch war er auch noch!
Gabrielle hatte eigentlich gar nicht so frech zu ihm sein wollen, doch sie war so erschrocken gewesen, dass sie sich nicht anders zu helfen wusste. Auch war der Griff, mit dem er ihren Arm gepackt hatte, recht fest gewesen. Und sie hatte Angst gehabt, dass Ohr und Richard in ihrem beschützeri-schen Übereifer einen Streit vom Zaun brechen würden, weil der Mann Hand an sie gelegt hatte.
Die Angst war nicht unbegründet. Genau das hatten die beiden nämlich keine zehn Minuten vorher getan, als ein Seemann sie bloß ein wenig angerempelt hatte. Fast hätten sie den Mann deswegen vom Kai ins Wasser gestoßen. Daraufhin hatte sie die beiden aufgefordert, diskreter zu sein und sich hinter ihr zu halten, wie man es von englischen Dienern gewohnt war.
Als der große, schöne Mann dann mit diesen dunklen Augen auf sie herabgesehen hatte und sein Blick begehrlich geworden war, hatte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen können. Und als ob das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, hatte sie, als er ihr ein gewinnendes Lächeln schenkte, ganz tief in sich eine Regung verspürt. All das hatte sie so durcheinandergebracht, dass sie im ersten Moment überhaupt nicht begriff, was er zu ihr sagte. Daher war ihre Antwort wesentlich schärfer ausgefallen, als sie beabsichtigt hatte, woraufhin auch er grob wurde.
Gabrielle seufzte innerlich. Wahrscheinlich würde sie ihn nie wieder sehen. Sie hatte in der Karibik genügend Amerikaner getroffen, um sie am Akzent zu erkennen. Amerikaner besuchten England zwar, blieben aber nicht, und die meisten von ihnen mochten die Engländer nicht einmal. Schließlich war es noch gar nicht so lange her, dass die beiden Länder miteinander Krieg geführt hatten! Es sollte sie also wundern, wenn sie genau diesem Amerikaner noch einmal über den Weg lief.
Dann würde wohl jede Einzelheit, die ihr an ihrem heutigen Benehmen so peinlich gewesen war, wieder auf sie einstürmen
– und sie wahrscheinlich erneut dazu bringen, sich wie eine Närrin aufzuführen.
Kapitel 8
Als Gabrielle endlich an die Tür am Berkeley Square klopfte, waren ihre Nerven zum Zerreißen gespannt. Das Haus befand sich im nobleren Teil der Stadt. Sie hatten den halben Morgen gebraucht, um herauszufinden, wo der Lord lebte. Das war ihrem Vater natürlich nicht bekannt gewesen, denn er hatte den Mann seit über fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen. Alles was er wusste, war, dass der Lord schon vor einigen Jahren mit seinem Sohn nach England zurückgekehrt war.
Gabrielle hatte sich alle Mühe gegeben, bei diesem Besuch möglichst gut auszusehen, und Margery hatte geholfen, indem sie die Knitterfalten aus den Kleidern bügelte. Doch Gabrielle war so nervös, dass sie meinte, den Anforderungen nicht zu genügen. Und ihr war kalt. Großer Gott. Dabei war
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