Malory
es noch Sommer in England! Sie dagegen war mittlerweile zu sehr an das wärmere Klima der Karibik gewöhnt, was sich unglücklicherweise auch an ihrer augenblicklichen Garderobe zeigte.
Gabrielle hatte nur wenige elegante Kleider und sogar die waren aus leichten Stoffen geschneidert. Vor langer Zeit hatte sie fast die gesamte Garderobe, mit der sie aus England ange-reist war, weggeworfen, da sie für die Karibik viel zu warm gewesen war. Nun enthielten ihre Koffer leuchtend bunte Rö-
cke und Blusen und nicht einen einzigen Unterrock.
Gabrielle hatte einen ganzen Beutel voller Geld dabei, um sich eine neue Garderobe schneidern zu lassen, doch das konnte ihr an diesem Tag nicht helfen, einen guten ersten Eindruck zu machen. Sie hoffte, dass niemand zu Hause war, dass der Mann sich gar nicht in England aufhielt. Wenn Richard und Ohr nicht bei ihr gewesen wären, stünde sie jetzt nicht vor dieser Tür und bisse sich auf die Lippen. Sie hätte das erste Schiff zurück nach St. Kitts genommen.
Die Tür öffnete sich und ein Diener stand vor ihnen. Doch vielleicht war es auch gar kein Bediensteter, denn dieser Mann mit seinem ungepflegten grauen Bart, den abgeschnittenen Hosen und bloßen Füßen hätte eher auf eine tropische Insel gepasst als Gabrielle und ihre Eskorte.
»Na, was wollt ihr, fasst euch kurz«, sagte er ziemlich barsch.
Ohr entgegnete ausdruckslos: »Ein Brief für deinen Herrn, persönlich. Wir werden drinnen warten.«
Er gab dem Mann keine Gelegenheit zu widersprechen, sondern nahm Gabrielles Arm und drängte ihn beiseite.
»He, Moment mal«, protestierte der Kerl. »Wo ist eure Visitenkarte, hä?«
»Der Brief ist unsere ...«
»Gibt es ein Problem, Artie?«
Alle Augen wandten sich der Frau zu, die in einem der offenen Durchgänge erschienen war, die von der großen Eingangshalle wegführten, in der sie gerade standen. Sie war genauso groß wie Gabrielle, vielleicht sogar zwei oder drei Zentimeter kleiner, und hatte dunkelbraunes Haar und eben-solche Augen. Sie war ungefähr um die Dreißig, doch ihr Gesicht war sicher in jedem Alter außergewöhnlich hübsch.
Die drei Besucher waren derart überwältigt von ihrer Schönheit, dass sie nur stumm starrten, was dem Diener namens Artie die Gelegenheit gab zu sagen: »Sie sind einfach hier hereingeplatzt, George, aber ich werde sie sofort vor die Tür setzen.«
Die Frau – George – schnalzte missbilligend mit der Zunge und erwiderte: »Das wird nicht nötig sein.« Dann lächelte sie Gabrielle an und fügte freundlich hinzu: »Ich bin Georgina Malory. Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Gabrielle war so überwältigt, dass es ihr die Sprache ver-schlagen hatte. Sie fühlte sich wie eine armselige Bittstellerin.
Egal, was ihr Vater für Lord Malory getan hatte, der Gefallen war sicher nicht so groß gewesen, dass er von diesen Leuten erwarten konnte, sie aufzunehmen und durch die Saison zu begleiten. Vielleicht brauchte sie ja sogar zwei Anläufe, um einen Mann zu finden!
Das Einführen einer Debütantin war ein größeres Unterfangen. Dazu musste man eine Festlichkeit nach der anderen besuchen, planen, eine neue Garderobe anschaffen und passende Begleiter und Anstandsdamen finden. Gabrielle und ihre Mutter hatten oft darüber geredet – bevor Carla Albert kennen gelernt hatte. Und Carla hatte die richtigen Leute gekannt. Sie hatte sich auf die erste Saison ihrer Tochter in London gefreut. Genau wie Gabrielle damals – und sogar noch auf der Herfahrt. Aber im Moment wollte sie bloß noch zurück in die Karibik.
Richard setzte ein charmantes Lächeln auf, zog sogar seinen eleganten Hut vor der Dame und ergriff das Wort. »Wir haben einen Brief für Lord Malory, Madam. Darf ich hoffen, dass es sich dabei nicht um Ihren Gatten handelt?«
»Nein, das darfst du nicht«, sagte eine tiefe Stimme in höchst unfreundlichem Ton vom oberen Treppenabsatz. »Al-so hör auf, meine Frau anzustarren, oder ich reiße dich in kleine Stücke.«
Gabrielle schaute die Treppe hoch und wich unwillkürlich einen Schritt zurück zur Tür. Gütiger Himmel, noch nie hatte sie einen derart athletisch gebauten und Angst einflößenden Mann gesehen. Es lag nicht an seinem unfreundlichen Ton.
Ganz und gar nicht. Auch nicht an der Ausdruckslosigkeit seines Gesichts. Der Mann hatte einfach eine Ausstrahlung, die keinen Zweifel daran ließ, dass er gefährlich war, brandgefährlich sogar .. dass sie sich besser nach dem nächsten Ausgang umsehen sollten.
Am unbewegten
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