Malory
einen Kiesel ins Wasser. Der Hyde Park stand immer noch in voller Blütenpracht und der See war zu dieser Jahreszeit wunderschön, doch das fiel Gabrielle nur am Rande auf, da sie die Augen kaum von Drew abwenden konnte. Immer wenn er sich von ihr entfernte, erschauerte sie unter der kühlen Brise, die vom Wasser her wehte, doch sie hatte nicht vor, ihm zu verraten, dass sie fror, denn damit hätte sie riskiert, dass ihr Ausflug ein Ende nahm, doch eigentlich ...
Nein, sie würde ihn nicht darum bitten, sie zu wärmen. So verwegen konnte sie nicht sein; nun ja, sie konnte schon, aber sie befanden sich an einem öffentlichen Ort.
»Was ist mit Ihnen?«, fragte Gabrielle. »Kommen Sie oft nach England?«
»Seit meine Schwester hier wohnt, versuchen meine Brü-
der und ich, wenigstens einmal im Jahr zu Besuch zu kommen.
Nach Georgies Heirat haben wir in London eine Skylark-Niederlassung eröffnet, damit ist England wieder Teil unserer regulären Handelsrouten.«
»Wohin segeln Sie normalerweise?«
»In die Karibik. Wenn ich England verlasse, werde ich wieder dorthin zurückkehren. Eigentlich wollte ich heim nach Bridgeport, aber nur weil ich Boyd dort treffen wollte. Da er stattdessen hier aufgetaucht ist, werde ich wieder meinen üblichen Geschäfte nachgehen.«
Gabrielle schmunzelte. »Sie sind also auch am liebsten in der Karibik?«
Drew schmunzelte ebenfalls und gestand: »Ja, aber es ist auch nicht so weit weg von unserer Basis in Bridgeport, Connecticut.«
»Soviel ich weiß, liegt Ihr Schiff in London?« Als Drew nickte, fragte Gabrielle: »Wie heißt es denn?«
»Es heißt Triton und ist eine Schönheit, schnittig und schnell für seine Größe«, sagte er mit großem Stolz.
»Wie lang sind Sie auf ihm schon Kapitän?«
»Ich war zwanzig, als ich zum ersten Mal das Kommando übernahm«, erwiderte er.
»Stammt der Name nicht aus der griechischen Mythologie?«
»Richtig. Fast all unsere Schiffe tragen solche Namen. Unser Vater hat die Schiffe benannt, die meine Brüder und ich befehligen, Sie können also unschwer erraten, dass er die griechische Mythologie liebte.«
»Jedenfalls sind es sehr vornehme Namen«, sagte Gabrielle, dann kicherte sie. »Ich traue mich kaum zu sagen, wie das Schiff meines Vaters heißt. Das kann man einfach nicht vergleichen.«
»Ach, kommen Sie schon. Jetzt haben Sie meine Neugier geweckt, also müssen Sie es mir verraten.«
»Es heißt Crusty Jewel, der ›Verkrustete Juwel‹.«
»Na, das ist sicher nicht symbolisch gemeint.«
»Ganz im Gegenteil. Die Schatzsuche ist seine Leidenschaft, und falls, nein, wenn er den Goldschatz endlich findet, erwartet er gewissermaßen eine ganze Truhe voller alter Münzen und Juwelen, die völlig verkrustet sind, weil sie seit Jahr-hunderten vergraben liegen.«
Erfreut stellte Gabrielle fest, dass Drew ein verständnisvolles Lächeln aufgesetzt hatte. Er hätte jetzt böse Bemerkungen über ihren Vater machen können, doch erstaunlicherweise hatte er sich den ganzen Tag über von seiner allerbesten Seite gezeigt. Er war amüsant, charmant und hatte noch kein einziges Mal über Piraten gesprochen.
Drew bemerkte, dass eins der Ruderboote zu der Anlege-stelle zurückkehrte. Er schlug erneut vor, Boot zu fahren, und sie kehrten um. Doch kaum waren sie ein paar Schritte gegangen, spürten sie die ersten Regentropfen.
»So viel dazu«, murmelte er. »Schnell, in einer Minute wird es gießen.«
Es dauerte nicht einmal eine Minute. Der Himmel öffnete seine Schleusen in dem Moment, in dem Drew den Satz beendet hatte. Alle Parkbesucher rannten umher, um Schutz vor dem Regen zu finden. Doch behindert durch ihr Kleid und ih-re neuen Unterröcke konnte Gabrielle einfach nicht schnell laufen, jedenfalls nicht ohne ihren Rock hochzuheben. Sie versuchte zwar, mit Drew Schritt zu halten, da er im Umdrehen nach ihrer Hand gegriffen hatte, doch bald erkannte er ihr Problem. Anstatt einfach aufzugeben und sich damit abzufin-den, dass sie durchnässt sein würden, ehe sie ihre Kutsche erreichten, überrumpelte er sie, indem er sie auf den Arm nahm.
So kamen sie viel schneller voran, obwohl er sie trug.
Dennoch wurden sie nass bis auf die Haut. Sobald sie in der Kutsche waren, mussten sie beide über ihr trauriges Aussehen lachen.
»Das war sehr ritterlich von Ihnen, aber wird sind trotzdem tropfnass!«, sagte Gabrielle.
Drew war gerade dabei, sein Jackett auszuziehen, hielt jedoch inne, um eine nasse Haarlocke von ihrer Wange zu streichen.
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