Malory
Sie sehnte sich so sehr danach, dass es in ihrem Gesicht zu lesen sein musste. Doch da sie nun am Ziel ihrer Fahrt angelangt waren, war Drew ganz der Geschäftsmann und führte sie ohne Umstände direkt in das Gebäude hinein und hinauf zu Bates’ Kanzlei.
Gabrielle war enttäuscht, insbesondere nachdem Drew ihr diesen verständnisvollen Blick und dieses Lächeln geschenkt hatte. Wie konnte sie ihm danach so gleichgültig sein, dass er sie nicht einmal anschaute? Aus diesem Grunde war sie ein wenig ungehalten, als sie Bates’ Büroleiter ihren Namen nannte. Und sie wäre wahrscheinlich auch mit Bates ziemlich schroff umgegangen, wenn sie direkt zu ihm vorgelassen worden wäre. Doch man bat sie zu warten und Platz zu nehmen, Bates sei gleich für sie da.
Gabrielle setzte sich nicht. Sie ging auf und ab. Nachdem Drew sie einige Zeit beobachtet hatte, schloss er sich ihr an.
Als ihr aufging, was er da tat, hielt sie inne und kicherte. Die Spannung fiel von ihr ab. Sie setzte sich sogar auf einen der Stühle, die sich an der Wand reihten.
Man ließ sie nicht lange warten, doch als der Büroleiter sie aufrief, bemerkte er: »Wenn Ihr Begleiter kein Verwandter ist, wird er hier draußen bleiben müssen.«
Drew ignorierte den Kerl einfach und führte Gabrielle ins Büro des Anwalts. William Bates saß hinter seinem Schreibtisch und stand zur Begrüßung seiner Mandantin nicht einmal auf. Er war ein dicker, nahezu kahler Mann mit roten Wangen, und er hatte sich seit ihrem letzten Zusammentreffen kein bisschen geändert – sogar der finstere Gesichtsausdruck war noch derselbe.
»Ist Ihnen bewusst, dass Sie Glück haben, dass ich Sie nicht für tot erklären ließ, Miss Brooks?«
Gabrielle musterte ihn überrascht, nicht weil er schon wieder versuchte, sie einzuschüchtern, sondern weil er ihr gar keine Angst mehr machte. Gütiger Himmel, sie konnte nicht glauben, wie übermächtig er ihr erschienen war, als sie noch ein Kind gewesen war. Es war ein Wunder, dass sie den Mut aufgebracht hatte, seinen Rat in den Wind zu schlagen und das Land zu verlassen. Aber er war bloß ein dicker Mann, der gern wichtiger tat als er war.
»Unsinn«, entgegnete Gabrielle. »Ich habe Ihnen einen Brief geschickt, in dem ich Sie davon in Kenntnis setzte, dass ich England verlasse, um bei meinem Vater zu leben.«
»Und wenn diese Nachricht mich nicht erreicht hätte?«
»Ob Sie den Brief bekommen haben oder nicht, spielt keine Rolle. Ich bin gegangen, weil Sie versucht haben, mich in die Hände eines Mannes zu geben, der als Vormund völlig un-tauglich war.«
»Sie waren minderjährig!«
»Aber ich hatte einen lebenden Verwandten!«
»Einen Verwandten, der nicht in England wohnte!«
Gabrielle beugte sich vor, legte die Hände auf den Schreibtisch und lächelte knapp. »Wir haben keinen Grund, uns zu streiten, Mr. Bates. Ich bin nach England zurückgekehrt, das ist alles, was zählt. Und ich bin alt genug, mein Erbe einzufordern, wenn Sie also Dokumente haben, die ich unterschreiben muss, legen Sie sie mir jetzt vor. Ansonsten überschreiben Sie bitte umgehend den Besitz meiner Mutter auf mich.« Gabrielle zog eine Visitenkarte aus ihrem Retikül und legte sie auf den Schreibtisch des Anwalts. »Das ist der Name der Bank, zu der Sie mein Geld überweisen können.«
»Also hören Sie ...«
»Tun Sie einfach nur, was die Dame Ihnen gesagt hat, und überweisen Sie ihr Geld«, ging Drew dazwischen.
»Und wer sind Sie, Sir?«, wollte Bates wissen.
»Drew Anderson, ein Verwandter der Malorys«, erwiderte Drew. »Muss ich irgendwelche Titel erwähnen?«
William räusperte sich. »Nein. Nein, das wird nicht nötig sein. Die Familie ist in der Stadt hinreichend bekannt. Wir werden diese Angelegenheit schnellstmöglich erledigen. Guten Tag, Miss Brooks.« Er nickte und erhob sich schließlich respektvoll, als Gabrielle aufstand und mit Drew im Schlepp das Büro verließ.
Während Drew ihr draußen wieder in die Kutsche half, dankte sie ihm für seine Hilfe. Er lachte sie an.
»Sie machen wohl Witze?«, sagte er. »So wie Georgie sich anhörte, habe ich gedacht, ich würde heute ein paar Köpfe ein-schlagen müssen. Aber Sie hätten da drinnen überhaupt keine Hilfe gebraucht. Sie haben die Angelegenheit geregelt, als hätten Sie jeden Tag mit Anwälten zu tun.«
Das Kompliment ließ Gabrielle erröten. »Er war nur nicht mehr so furchterregend, wie ich ihn in Erinnerung hatte.«
»Unsinn. Er hat trotzdem versucht, Sie ins Bockshorn
Weitere Kostenlose Bücher