Malory
beschämt über die Art ihrer Abreise. Nach allem, was die Malorys für sie getan hatten, verdienten sie ein derart schäbiges Benehmen nicht. Doch Gabrielle wusste, dass James, wäre er eingeweiht gewesen, darauf bestanden hätte, ihr zu helfen, und das konnte sie nicht zulassen. Er hatte bereits genug getan.
Als sie zum Stadthaus zurückschaute, erkannte Gabrielle, dass sie die Malorys vermissen würde. Ach Gott, sie hatte so große Hoffnungen gehabt, als sie nach London gekommen war, um den Mann ihrer Träume zu suchen. Kurioserweise hatte sie ihn sogar gefunden. Schade nur, dass es ausgerechnet ein Lump sein musste, der ihren Traum nun in einen Albtraum verwandelt hatte.
Kapitel 22
Gabrielle tigerte in einer der engen Kabinen auf Drews Schiff hin und her. Ihre Nerven spielten verrückt. Sie konnte nicht glauben, dass sie dabei war, ein Schiff zu stehlen, geschweige denn Drew Andersons Schiff. Sie würde es natürlich zurückgeben. Eigentlich lieh sie es sich nur aus oder zumindest versuchte sie, sich das einzureden, um die Schuldgefühle, die an-fingen, sie zu quälen, ein wenig zu zerstreuen. Doch das half nicht viel.
Sie waren in der vergangenen Nacht an Bord gegangen, nachdem sie sich vergewissert hatten, dass der Kapitän nicht in der Nähe war. Gabrielle hatte nicht gewusst, dass die Triton so schön war. Der Dreimaster war viel größer als das zweimasti-ge Schiff ihres Vaters. Drew und die meisten seiner Crew waren unterwegs, um die letzte Nacht im Hafen zu genießen, was es für die Männer, die Ohr angeworben hatte, leicht machte, sich an Bord zu schleichen und im Frachtraum zu verstecken.
Trotzdem hatte Gabrielle in der letzten Nacht nicht viel Schlaf bekommen, und als der Morgen dämmerte, hatte sie den Versuch einzuschlafen schließlich ganz aufgegeben. Seither war sie immer ängstlicher geworden, bis schon das kleinste Geräusch sie zusammenzucken ließ. Sie hatte jeden Finger-nagel bis auf die Haut abgekaut.
Während das Schiff aus dem Hafen lief und auf den Ärmel-kanal hinaussegelte, blieb es völlig ruhig an Bord, was darauf hindeutete, dass noch nichts passiert war, und das Warten war nervenaufreibend. Gabrielle war ähnlich stark angespannt wie vor drei Jahren, als ihr Schiff von Piraten verfolgt worden war und sie in ihrem Versteck auf das Kanonenfeuer gewartet hatte. An diesem Morgen würden zwar keine Kanonen donnern, doch sie erwartete Rufe, ja sogar Pistolenschüsse, wenn der Befehl über das Schiff die Hände wechselte.
Ein knappes Klopfen an der Tür ließ sie erschrocken nach Luft schnappen und provozierte ein verärgertes Kreischen von Miss Carla. Das wiederum machte Margery wach, die noch in ihrer Koje geschlafen hatte.
Richard war an der Tür. Er steckte seinen Kopf herein und meldete: »Sie gehört uns. Ihr könnt jetzt rauskommen.«
»Ich habe gar keine Schüsse gehört«, sagte Margery, dann fragte sie Gabrielle, »oder habe ich den Aufruhr verschlafen?«
Gabrielle lächelte. »Nein, es gab keine Schüsse, aber ich hatte auch welche erwartet genau wie du.« Sie lüpfte eine Braue und sah Richard an. »Wie habt ihr es geschafft, dass die Übernahme so friedlich verlaufen ist?«
Richard trat ein und schloss schmunzelnd die Tür. »Wir sind eben gut.« Doch dann sagte er verschmitzt. »Wir hatten es vorher schon einmal geübt. Eines Nachts haben wir ein Schiff direkt im Hafen gekapert, das war allerdings nur ein Spaß unter Freunden. Wir haben es zurückgegeben. So lernten wir aber, wie einfach es sein kann, wenn man den Überra-schungseffekt auf seiner Seite hat.«
»Hättest du mir das nicht gestern sagen können?«, fragte Gabrielle schnippisch.
»Das ist doch keine Garantie. Aber die Überrumpelung hat für uns den Ausschlag gegeben – Käpt’n.«
Gabrielle quittierte die Anrede mit einem abfälligen Laut.
Obwohl sie übereingekommen waren, Gabrielle alle wichtigen Entscheidungen treffen zu lassen, spielte sie die Rolle des Kapitäns nur, um die Verantwortung für den Diebstahl zu übernehmen, falls sie gefangen genommen werden würden.
Sie hatte keineswegs die Absicht, das Schiff zu befehligen. Obwohl sie mittlerweile eine erfahrene Seglerin war und ihren Vater oft genug am Steuer beobachtet hatte, war Ohr weit besser für diese Aufgabe geeignet.
»Ihr habt also überhaupt keine Schwierigkeiten gehabt?«
»Kaum. Na ja, es war nicht leicht, den Kapitän zu überwältigen. Du hättest uns aber auch vorwarnen können, dass es sich um den Hünen handelt, mit dem
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