Malory
du am Tag unserer Ankunft im Hafen zusammengestoßen bist. Wir haben vier Mann gebraucht, um ihn zu bändigen. Er ist verdammt gut mit den Fäusten.«
»Ihr habt ihn doch nicht verletzt, oder?« Die Frage war ihr zu schnell herausgerutscht und verriet auch zu viel Besorgnis.
Hastig machte Gabrielle das wieder gut, indem sie sagte:
»Nicht, dass es mir etwas ausmachen würde, aber es sollte doch niemand verletzt werden.«
»Es geht ihm gut. Wir mussten allerdings seinen ersten Offizier niederschlagen. Er hat gesehen, wie wir einige Besat-zungsmitglieder in den Laderaum verfrachteten, und wollte wissen, was vorging. Als er von allein darauf gekommen ist, hat er sich auf uns gestürzt. Verdammt, er ist fast so groß wie der Kapitän. Aber er ist ebenfalls sicher verwahrt, sitzt hinter Schloss und Riegel in seinem Quartier.«
Gabrielle nickte und lächelte in sich hinein, als sie die Kabine verließ. Sie hatte sich bereits überlegt, was sie mit Drew anstellen wollte, jetzt, da sie ihn in ihrer Gewalt hatte. Sie würde ihn denken lassen, sie sei eine echte Piratin.
Diese Idee hatte ihr von Anfang an gefallen. Drew hielt sie zwar bereits für eine Piratin, doch gesetzt den Fall, er bekäme irgendwelche Zweifel, wäre es für sie ein Leichtes, sie zu zerstreuen. Und dann würde sie dafür sorgen, dass er sie trotzdem begehrte. Das war ihrer Meinung nach die perfekte Rache. Er hasste Piraten, und zwar so sehr, dass er versucht hatte, Gabrielle gewissermaßen auf eigenem Boden zu schlagen.
Dabei konnte einem verdammten Amerikaner die englische Gesellschaft doch egal sein! Sie würde ihn jedenfalls so sehr reizen, dass es ihn in den Wahnsinn trieb. Und dann würde sie ihm unmissverständlich klarmachen, dass er sie niemals bekommen konnte.
Gabrielle ging, um Ohr zu suchen und ihn zu fragen, wo er Drew hatte hinbringen lassen. Ohr hielt sich in der Kapitänskabine auf, in der sich auch Drew befand. Er war im hinteren Teil des Raumes an einen Stuhl gefesselt und geknebelt. Gabrielle wünschte, man hätte ihm auch ein Tuch über die Augen gebunden, dann hätte er sie nicht mit Blicken verfolgen können, in denen die pure Mordlust loderte. Das war natürlich zu erwarten gewesen und überraschte sie nicht.
Gabrielle ging zu dem Tisch, an dem Ohr stand und sich über die Karten beugte, und versuchte, diese dunklen Augen zu ignorieren, die ihr auf Schritt und Tritt folgten. »Warum habt ihr ihn nicht in den Frachtraum gesperrt?«, fragte sie leise.
Doch sie tat nur so, als wolle sie nicht, dass der Kapitän ih-re Frage hörte. Auf dem Schiff war es zurzeit sehr ruhig. Er hätte taub sein müssen, um sie nicht zu verstehen.
Ohr warf Gabrielle einen Seitenblick zu und sagte verschmitzt: »Ich dachte, du möchtest dich ein wenig rächen, nachdem er so gemein zu dir war.«
Perfekt! Selbst wenn sie sich vorher mit ihm abgesprochen hätte, hätte sie sich keine bessere Antwort ausdenken können.
Und ein paar Tage im Frachtraum waren Teil ihrer Rache.
Aber das war noch nicht alles. »Außerdem«, fuhr Ohr fort,
»ist der Frachtraum voll mit seinen Leuten und das Letzte, was man tun sollte, ist, den Kapitän mit seiner Mannschaft zusammen einzusperren.«
»Und warum?«
»Damit würde man sie nur dazu ermuntern, sich schnell einen Fluchtplan einfallen zu lassen, den er dann in die Tat umsetzen ließe. Wenn sie getrennt sind, wird er zwar immer noch Pläne schmieden, aber allein kann er nicht viel ausrichten.«
Gabrielle nickte. Wahrscheinlich hatte Ohr recht. Und sie sollte ihm keine Fragen über Dinge stellen, die sie eigentlich wissen müsste, wenn sie wirklich Kapitän wäre. Und sie wollte, dass Drew dachte, sie sei der Kapitän.
Trotzdem war sie neugierig und fragte laut: »War es unbedingt notwendig, ihn zu knebeln?«
»Es schien uns eine gute Idee zu sein, weil er einfach nicht den Mund halten wollte«, erwiderte Ohr.
Gabrielle verdrehte die Augen. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, was der blonde Riese von sich gegeben hatte. Und sie hatte bereits mehr gesagt als gut war. Das wurde ihr nun bewusst. Daher schlug sie einen knappen Befehlston an und forderte Ohr auf, mit ihr vor die Tür zu gehen, damit sie dar-
über reden konnten, wohin sie den Kapitän bringen sollten.
Allerdings wurden zunächst ihre Reisetaschen gebracht.
Sie hatten vorab besprochen, dass Gabrielle die Kapitänskabine bewohnen sollte, da sie der größte und beste Raum war, um sich zu versammeln und die anstehenden Entscheidungen zu
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