Malory
Augen an.
Kapitel 26
Ohr und Richard leisteten Gabrielle beim Abendessen in der Kabine Gesellschaft. Ohr schaute einige Male zum ehemaligen Kapitän hinüber und fragte schließlich besorgt: »Willst du ihn so hier behalten?«
»Du meinst angekettet? Im Augenblick ja. Dann wird er nicht wieder verletzt.«
»Wann ist er denn verletzt worden?«
Sie hätte es gar nicht erwähnen sollen, doch nachdem es nun einmal geschehen war, beschloss Gabrielle, lieber die Wahrheit zu sagen, als irgendwelche banalen Ausreden zu erfinden. Außerdem würde es erklären, warum sie wollte, dass Drew in Ketten blieb.
»Er hat es geschafft, sich zu befreien«, erklärte sie, dann fügte sie schnell hinzu, »und ich habe es geschafft, ihn wieder in Fesseln zu legen. Es ist nichts wirklich Schlimmes passiert.«
»Ich könnte ihn stattdessen an Deck anketten«, schlug Ohr vor.
»Schrubbt die Decks!«, kreischte Miss Carla.
Alle lachten über den Papagei. Es war typisch für ihn, einen seiner zahlreichen Sprüche von sich zu geben, sobald er ein Wort hörte, das darin vorkam. Doch so spät am Abend hätte Gabrielle den Vogelkäfig längst abdecken sollen. Das holte sie nun nach und kehrte anschließend an den Tisch zurück. Sie bemerkte, dass Drew den Papageienkäfig erstaunt ansah. Vermutlich hatte er den Vogel noch nicht reden hören.
Zu Ohrs Vorschlag war zu sagen, dass es zufällig in jener Nacht regnete, doch selbst wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte Gabrielle es nicht über sich bringen können, Drew an Deck anketten zu lassen.
Sie sagte zu ihren Freunden: »Ich möchte ihn lieber nicht wegbringen lassen.«
»Dann nimm doch unsere Kabine«, meinte Richard. »Wir können hier schlafen.«
Gabrielle dachte kurz nach. Die Anstandsregeln geboten, den Vorschlag anzunehmen, allerdings war es ein wenig spät, sich über Anstand den Kopf zu zerbrechen, nachdem sie sich als Piratin bezeichnete. Außerdem war die Tatsache, dass sie dieses Zimmer, das Reich des Kapitäns, bewohnte, im Grunde das Einzige, was ihren Plan stützte. Ihre Männer nannten sie zwar Käpt’n, doch Drew sollte mit eigenen Augen sehen, dass die Befehle von ihr kamen. Und dass ihre Leute heute so häufig ins Zimmer gekommen waren, bewies es. Darüber hinaus, wie sollte sie sich an dem Kapitän rächen, wenn sie nicht ständig Zugang zu ihm hatte?
Gabrielle schüttelte den Kopf. »Ich komme hier schon zurecht.« Zum Glück erhoben Richard und Ohr keine Einwän-de, obwohl sie sicherlich etwas gesagt hätten, wenn Drew nicht in Hörweite gewesen wäre.
Nach dem Essen blieben sie noch eine Weile und Richard gab sich alle Mühe, Gabrielle zum Lachen zu bringen. Er machte sich immer noch Vorwürfe, dass er ihr am Nachmittag den Auftritt verdorben hatte, denn Gabrielle hatte bislang keine Gelegenheit gehabt, mit ihm darüber zu reden und ihm zu versichern, dass es ohnehin eine dumme Idee gewesen war. Drew saß derweil in seiner Ecke, beobachtete sie stumm und lauschte wahrscheinlich jedem ihrer Worte. Er war jetzt nur noch mit der Kette am Fuß festgebunden. Gabrielle selbst hatte ihm vor einiger Zeit die Fesseln abgenommen. Das war schwierig und ziemlich gefährlich gewesen. Sie hatte die Stricke gerade weit genug gelöst, dass er sie selbst abstreifen konnte, während sie sich eilig aus seiner Reichweite entfernte.
Seither hatte er nicht mehr auf dem Stuhl gesessen, an den er gefesselt gewesen war. Er war aufgestanden und hatte eine Zeit lang seine langen Gliedmaßen gereckt, was ihre Blicke angezogen und sie, sehr zu ihrer eigenen Verärgerung, fast wieder dazu gebracht hatte, sich in seinen Anblick zu vertiefen.
Danach hatte Drew sich mit weit gespreizten Beinen auf den Boden gehockt und den Rücken an die Wand gelehnt. In seiner Ecke auf dem Boden sitzend hatte er auch seine Mahlzeit eingenommen, nachdem Bixley ihm den Teller zugescho-ben hatte. Keiner wollte in seine Nähe kommen, was nur gut war. Drew wirkte zwar nicht halb so einschüchternd wie dieser bärenstarke erste Offizier Timothy Sawyer, doch war er immerhin ein überaus großer, muskulöser Mann.
Die Stiefel hatte Drew ausgezogen, wohl um irgendwann auszuprobieren, ob er die Fessel über den Knöchel streifen konnte. Mitsamt Stiefel lag sie wohl zu eng an. Gabrielle hatte ihn beobachtet und das war ihm durchaus bewusst, deshalb hatte er es wohl noch nicht versucht. Sie war jedoch derart beunruhigt, dass sie ihn angewiesen hatte, das Hosenbein hochzukrempeln.
Daraufhin hatte er sie bloß
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