Malory
daß er sich nicht entkleidet, ja nicht einmal den Gürtel seines Morgenrocks geöffnet hatte. Und sie selbst trug auch ihr Nachthemd.
Tränen traten in ihre Augen. Als Anthony das bemerkte, verzerrte sich sein Gesicht vor Zorn.
»Hör sofort auf zu heulen«, knurrte er, »sonst versohle ich dir den Hintern. Du hast genau das bekommen, was du haben wolltest.«
»Das ist nicht wahr!« rief sie.
»Nein? Hast du etwa mehr erwartet, obwohl du für die Lust einen Zeitplan festgelegt hast?«
Sie wandte ihm den Rücken zu, damit er ihre Tränen nicht sehen konnte, und suchte Zuflucht in seinem Bett.
Am liebsten wäre sie in ihr eigenes Zimmer geflüchtet, aber sie wagte es nicht, solange er in dieser Stimmung war. Sie weinte jetzt vor Scham, denn er hatte recht. Sie hatte geglaubt, es würde alles so sein wie bei jenen frü-
heren köstlichen Liebesspielen. Daß sie etwas ganz anderes bekommen hatte, war ihre eigene Schuld. Und sie schämte sich jetzt auch, daß sie trotzdem Genuß verspürt hatte.
Sie war so sicher gewesen, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. O Gott, warum hatte sie nur nicht auf Nettie gehört? Warum war sie immer so egozen-trisch, warum dachte sie nie an die Gefühle anderer Menschen, nur an ihre eigenen? Wenn Anthony ein derartiges Ansinnen an sie gestellt hätte, wenn er ihr erklärt hätte, daß sie sein Bett nur mit ihm teilen solle, bis sie schwanger sein würde, daß er von ihr nichts anderes wolle als nur ein Kind - sie wäre völlig niedergeschmet-tert gewesen und hätte ihn für den grausamsten und herzlosesten
Menschen
der
ganzen
Welt
gehalten.
O
Gott, wofür mußte er jetzt sie halten? Sie hätte einer so geschmacklosen
Bedingung
nie
zugestimmt.
Sie
wäre
wahnsinnig
gekränkt
gewesen
-
und
wütend,
genau
wie er.
Zum Glück liebte er sie wenigstens nicht, sonst könnte sie es sich nie verziehen, derart auf seinen Gefühlen herumgetrampelt zu sein. Aber auch wenn er sie nicht liebte, so begehrte er sie doch, und er war eifersüchtig und wollte sie mit niemandem teilen. . .
Wie Schuppen fiel es ihr plötzlich von den Augen, daß diese
Gefühle
verschiedene
Ausdrucksformen
der
Liebe
waren. Aber er hatte doch selbst gesagt, daß er sie nicht liebte! Nein, er hatte nur gesagt, es sei zu früh, von Liebe zu
sprechen.
Aber
er
hatte
auch
nie
widersprochen,
wenn sie erwähnt hatte, daß er sie ja nicht liebte. Nein, er liebte sie bestimmt nicht. Aber wenn er sie nun doch liebte?
Und wenn er vielleicht doch die Wahrheit gesagt hatte und ihr überhaupt nicht untreu gewesen war? Wenn dem so wäre, gäbe es für ihre Verhaltensweise keinerlei Entschuldigung.
Nein. . .
Nein!
Sie
konnte
sich
doch
nicht in jeder Hinsicht irren, konnte doch nicht völlig im Unrecht sein.
Sie setzte sich auf und sah, daß er noch immer im Sessel saß und das Brandyglas wieder in der Hand hatte.
»Anthony?«
Er würdigte sie nicht einmal eines Blickes, und die Bit-terkeit in seiner Stimme war unüberhörbar. »Schlaf jetzt, Roslynn. Den Zeitpunkt für unsere nächste Paarung be-stimme ich!«
Sie legte sich wieder hin. Glaubte er wirklich, daß sie ihn zu einer weiteren ›Paarung‹ hatte einladen wollen?
Nein, er war nur garstig, und sie konnte es ihm nicht einmal verübeln. Sie würde in nächster Zeit auf noch viel mehr schlechtere Laune und Sarkasmus gefaßt sein müssen, denn sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie ihre groteske Vereinbarung rückgängig machen sollte.
Sie konnte nicht einschlafen. Und Anthony ging nicht zu Bett.
Kapitel 37
Es war erst halb acht, als Roslynn am nächsten Morgen die Treppe zur Halle hinunterging. Sie errötete noch in der Erinnerung an die unvermutete Begegnung mit James, als sie vorhin im Neglige aus Anthonys Zimmer geschlüpft war. James trug noch einen Abendanzug und war offenbar nach einer durchfeierten Nacht nach Hause gekommen. Er wollte gerade in sein Zimmer gehen, als er Roslynn gesehen hatte, und er hatte es natürlich nicht lassen können, sie genauestens zu betrachten, von Kopf bis Fuß. Und es war ihm nur zu deutlich anzusehen gewesen, daß er sich köstlich amüsierte, als sie mit glühenden Wangen in größter Verlegenheit in ihr Zimmer gerannt war. Am liebsten hätte sie sich unter der Bettdecke verkrochen und wäre nie wieder hervorgekommen. Welche Schlüsse mochte James daraus ziehen, daß sie zwar einerseits die Nacht in Anthonys Bett verbracht hatte, sich aber andererseits doch wieder in ihr
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