Malory
zählte nicht -
allein zurückblieb, stellte sie fest, daß sie doch ein Feigling war.
Zum Schlafengehen war es eigentlich noch viel zu früh, doch sie zog sich trotzdem in aller Eile auf ihr Zimmer zurück. Dobson sollte Anthony ausrichten, sie fühle sich nicht gut und wolle unter gar keinen Umständen ge-stört werden. Ob er sich daran halten würde, blieb natürlich abzuwarten.
Sie wollte jedenfalls gewisse Vorbereitungen für den Fall treffen, daß er trotzdem käme. Deshalb zog sie ihr solides
Baumwollnachthemd
an,
das
für
kalte
Winter-
nächte im schottischen Hochland gedacht war, und versteckte ihre Haare unter einer häßlichen Nachtmütze, die sie sich von Nettie lieh, weil sie selbst überhaupt keine besaß. Sie vervollständigte ihren Aufzug mit einem dik-ken Morgenrock, den sie normalerweise nur nach dem Baden trug.
Sie
spielte
mit
dem
Gedanken,
auch
noch
Netties
Nachtcreme dick aufzutragen, entschied dann aber, daß das doch was übertrieben wäre. Es könnte Anthony zum Lachen bringen, anstatt ihn abzuschrecken.
In ihrer Vermummung hielt sie es unter der Bettdecke nicht lange aus. Aber vielleicht würde es sogar einen na-türlicheren Eindruck machen, wenn sie mit einem Buch in der Hand ruhte. Sich schlafend zu stellen, solange es noch so früh war, hatte wenig Sinn, weil Anthony es ihr sowieso nicht abnehmen würde.
Nein, es durfte nicht so aussehen, als wollte sie ihn absichtlich meiden; vielmehr mußte sie so tun, als wäre sie tatsächlich
indisponiert.
Dann
würde
er
gezwungen
sein, sie in Ruhe zu lassen. Aber vielleicht hielt er sich ohnehin daran, daß sie nicht gestört werden wollte. Falls er überhaupt nach Hause kam. . .
Verdammt,
das
alles
hätte
sie
sich
sparen
können,
wenn Dobson den Zimmerschlüssel gefunden hätte, um den sie ihn schon gestern gebeten hatte. Aber andererseits könnte ein Mann wie Anthony es vielleicht als Herausforderung ansehen, wenn sie ihn aussperrte und auf diese Weise demonstrierte, daß sie nicht mit ihm sprechen wollte, weder jetzt noch in naher Zukunft. Nein, so war es besser. Sollte er ruhig kommen, wenn er wollte!
Sie würde ihm schon zu verstehen geben, wie rücksichtslos es war, sie zu stören, wenn sie sich so miserabel fühl-te.
Das einzige Buch, das sie zur Hand hatte, war eine langweilige
Sammlung
sentimentaler
Sonette,
das
je-
mand, der vor ihr in diesem Zimmer logiert hatte, vergessen haben mußte. Aber sie konnte es nicht riskieren, sich einen anderen Lesestoff aus der kleinen Bibliothek in Anthonys Arbeitszimmer zu holen, denn möglicherweise würde er gerade in diesem Moment nach Hause kommen, und dann wäre ihre ganze sorgfältige Inszenie-rung umsonst gewesen.
Sie gab den Versuch zu lesen schnell wieder auf. Beim Durchblättern hatte sie festgestellt, daß es zum größten Teil
Liebesgedichte
waren,
doch
obwohl
sie
normaler-
weise durchaus eine Ader für diese Kunstgattung hatte, war sie im Augenblick wirklich nicht in romantischer Stimmung. Außerdem konnte sie etwas Zeit zum Nachdenken gut gebrauchen. Sie mußte versuchen, sich über ihre Gefühle klarzuwerden, und sie mußte eine Strategie für ihr weiteres Vorgehen planen. Konnte sie sich bei-spielsweise auch noch morgen krank stellen?
Zum Glück hielt sie den Gedichtband noch in der Hand, als Anthony, ohne anzuklopfen, ihr Zimmer betrat. Doch es nutzte ihr nicht viel, denn er ließ sich nicht so leicht täuschen.
»Sehr amüsant, meine Liebe«, sagte er trocken, mit unergründlicher
Miene.
»Hast
du
den
ganzen
Tag
ge-
braucht, um dir das auszudenken, oder ist diese Idee dir erst gekommen, als du dich von aller Welt - sprich von meinem lieben Bruder samt seinem Sprößling - im Stich gelassen sahst?«
Sie zog es vor, diese Frage zu ignorieren. »Ich bat darum, nicht gestört zu werden.«
»Das weiß ich, Liebling.« Er schloß die Tür mit einem aufreizenden
Lächeln.
»Aber
ein
Ehemann
darf
seine
Frau stören - zu jeder Zeit, an jedem Ort, auf jede belie-bige Art und Weise.«
Seine anzügliche Bemerkung trieb ihr eine heiße Röte in die Wangen, was ihm natürlich nicht entging. »Ah, du hast offenbar Fieber«, stellte er fest, während er sich dem Bett näherte. »Na ja, kein Wunder, nachdem du dich so warm vermummt hast. Oder ist es vielleicht eine Erkältung? Nein, du hast dir nicht die Mühe gemacht, durch Kneifen zu einer roten Nase zu kommen. Jetzt weiß ich's -
natürlich Kopfweh! Sehr vernünftig, denn dabei
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