Maltas Geheimnis
bescheuert!«, schrie sie ihn auf Deutsch an. »Du kannst mich doch nicht mit einem Ruck zurückziehen. Da war doch klar, dass ich den Halt verliere, du Idiot!«
Als sie seine hochgezogenen Augenbrauen und den geöffneten Mund sah, kapierte sie, dass er sie nicht verstanden hatte und ihr Geschrei nicht nachvollziehen konnte – darüber war sie ganz froh. Die Sache war geschehen und eine Standpauke half ohnehin nicht mehr. Nachdem sie mehrmals tief durchgeatmet hatte, erklärte sie ihm ausführlich, wie er das nächste Mal mit dem Seil hantieren sollte. Einige Schürfwunden hatte sie an Armen und Beinen, aber das war jetzt nicht wichtig.
»So nochmal. Ich werd’ mal den Sicherungshaken suchen. Er muss hier in der Nähe an der Steilwand eingeschlagen worden sein. Du sicherst mich wieder und diesmal richtig. Halte dich dieses Mal weit genug vom Rand fern.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, näherte sie sich wieder, diesmal etwas langsamer, dem Klippenrand.
Nach einer knappen halben Stunde hatte Alisha den Haken gefunden. Er war fast zwanzig Meter weiter in einen Felsblock eingeschlagen worden. Dieser war so glatt, dass sich das Seil beim besten Willen nicht daran hätte durchscheuern können. Also war die Geschichte des Polizeichefs mitsamt den Seilenden erfunden gewesen. Hatte sie es doch gewusst!
Hoffnung keimte in ihr auf, Axel und Jens doch noch lebend zu finden.
Als sie wieder neben Raul stand, suchte sie das längste Seil aus ihrem Rucksack und rollte es aus.
»Ist das Seil nicht ein bisschen zu dünn um daran herunterzuklettern?«, fragte Raul misstrauisch.
»Es handelt sich um eine Spezialfaser, die sehr reißfest ist. Ein normales Seil dieser Länge wäre ziemlich schwer und würde zu viel Platz wegnehmen. Das hier ist so dünn und leicht, dass es bequem mitgenommen werden kann.«
»Du scheinst dich ja wirklich mit der Kletterei auszukennen.«
Alisha lächelte und erklärte ihm ganz genau, wie er sie zu sichern hatte, während sie an der Felswand hinabkletterte.
»Zieh dir die Lederhandschuhe an, damit das Seil nicht in deine Hände einschneidet oder deine Haut verbrennt. Ich hoffe allerdings, dass du überhaupt nicht einzugreifen brauchst.« Sie schluckte. Hoffentlich würde alles gut gehen.
»Ich auch«, hörte sie Raul murmeln. »Wie soll´s weitergehen, wenn du das Signal gegeben hast, dass du in der Höhle bist?«, fragte er, wieder mit deutlicher Stimme.
»Wenn ich fertig bin, ziehe ich als drei Mal am Seil. Dann kannst du vorsichtig zu mir herunter klettern. Ich sichere dich von unten, indem ich das Seil straff halte. Aber erst wenn es richtig straff ist, anfangen zu klettern, ja? Verlierst du den Halt beim Abstieg, dann lass´ ich dich langsam herunter. Und schau´ ja nicht nach unten! O.k.? Also los geht´s!«
Sie wartete keine Antwort ab, klinkte das Seil an ihrem Sicherungsgurt ein, warf ihm noch einen prüfenden Blick zu und legte sich am Klippenrand auf den Boden. Als sie sah, dass Raul das Seil fest in der Hand hielt und sich sogar auf den Boden gesetzt und beide Beine gegen einen Felsblock gestemmt hatte, begann sie den Abstieg. Bedächtig suchte sie Vorsprung um Vorsprung, Griffmulde um Griffmulde und arbeitete sich so immer weiter nach unten vor. Es war ihre erste echte Klettertour in der freien Natur und es ging viel einfacher, als sie gedacht hatte. Sie fühlte sich unendlich leicht.
Einige Meter tiefer entdeckte sie einen Sicherungshaken in einer winzigen Felsnische und wusste nun, dass sie auf dem richtigen Weg war. Sie jubelte leise.
Langsam kletterte sie weiter. Allerdings wurde es mit jedem Meter anstrengender. Ihre Finger begannen zu schmerzen und die zuvor gefühlte Leichtigkeit verschwand allmählich. Ihre Wunden, die sie sich beim Sturz zugezogen hatte brannten höllisch von dem Schweiß und sie blinzelte heftig.
Als sie den sechsten, eingeschlagenen Sicherungshaken gefunden hatte, fühlte sie sich völlig ausgehöhlt. Am liebsten hätte sie losgelassen. Allmählich wurde ihr schwindelig. Trotzdem stieg sie weiter hinab. Meter für Meter – automatisch, als wäre sie ein Roboter.
Sie wusste längst nicht mehr, wie weit sie bereits abgestiegen war, als sie einige Meter neben sich eine dunkle Vertiefung in der steilen Felswand erkennen konnte. Mit letzter Kraft und zitternden Knien hangelte sie sich hinüber.
Es handelte sich um eine kleine Felshöhle. Es musste einfach die richtige sein, denn weiter konnte sie nicht mehr – weiter wollte sie nicht mehr. Sie war
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