Maltas Geheimnis
verrottet war.«
Sie musste erst einmal tief durchatmen. Allzu oft würde sie so etwas nicht mehr ertragen, das wusste sie. Ihm nur zunickend, nahm sie ihre Fackel hoch und ging vorsichtig durch den schmalen Raum.
»Wieder dieser schöne Marmor auf dem Boden. Woher kommt dieser prächtige Stein?«, hörte sie ihn murmeln.
»Woher kommt der bloß?« äffte sie ihn leise nach, sodass er es nicht hörte. Sie interessierte der Marmor nicht im Geringsten. Sie hatte für heute mehr als genug. Sie wollte endlich eine Pause machen.
Als sie an die Gabelung kamen, entdeckten sie wieder den Kreidepfeil. Dieser Pfeil beruhigte sie ungemein. Vielleicht waren Axel und Jens einfach nur ohne auf die Zeit zu achten, immer weiter durch das Höhlenlabyrinth gewandert. Vermutlich konnten sie es sich überhaupt nicht vorstellen, dass sich jemand um sie sorgen machen könnte.
»Diesmal bin ich ratlos, welchen Weg deine Freunde genommen haben könnten«, sagte Raul, während er auf dem Boden nach Spuren zu suchen schien. »Wir nehmen einfach mal den linken Gang, dann werden wir schon sehen, ob wir richtig sind. Wenn wir nach einer viertel Stunde immer noch keinen Hinweis haben, kehren wir um und nehmen den anderen Weg. Einverstanden?«
Sie zuckte nur lustlos die Achseln, es war ihr allmählich egal. Ihr fielen wieder die Verfolger ein – aber auch das war ihr in diesem Moment egal.
Müde trottete sie hinter ihm her – allerdings nur wenige Meter weit, denn Raul blieb abrupt vor ihr stehen. Als sie sah, warum, verstand sie ihn. Der Gang weitete sich aus und der Boden änderte radikal seine Beschaffenheit. Er bestand nur noch aus behauenen Steinen. Links von ihr taten sich kleinere, fast rechteckige Vertiefungen auf, die gleichmäßig in Reih und Glied angeordnet waren. Weiter vorne war der Gang wieder vollständig verschüttet und auf der rechten Seite befand sich eine schwere, eisenbeschlagene Tür in einer Felswand. Die Decke des Ganges selbst wurde durch mehrere Kreuzbögen gestützt. Es sah aus wie ein uraltes Gewölbe in einer Ritterburg.
Sie näherte sich einer der Vertiefungen und zuckte zurück. Es lagen Gebeine und der Schädel eines Menschen darin, wie aufgestapelt. Es handelte sich offensichtlich um eine Begräbnisstätte. Sie leuchtete in die nächsten Vertiefungen und stellte fest, dass alle in der gleichen Art belegt waren.
»Jetzt weiß ich, was ich hätte wissen müssen«, hauchte Raul ihr ins Ohr. Er klang aufgeregt. »Ich habe diesen Marmor schon mal gesehen.«
Sie sah, wie er die Reihe der Gräber ableuchtete und wiederholt nickte.
»Wo?«, fragte sie ihn nur und blickte zur Seite. Sie wollte die Gebeine nicht mehr sehen.
»In Mdina, in der Krypta der St. Peter und Paul Kathedrale. Dort gab es eine kleine Fläche, die präzise mit diesem bräunlichen Marmor belegt war. Die Krypta der 1702 erbauten Kirche ist sehr, sehr alt. Auf ihr hat bis 1693 eine andere Kirche gestanden, die bei dem Erbeben damals völlig zerstört wurde. Die Krypta soll auch nur noch zum Teil gestanden haben. Also befinden wir uns unmittelbar unter Mdina, beziehungsweise Rabat und zwar ganz in der Nähe der Sankt Pauls und Sankt Agathas Katakomben, die man noch heute besichtigen kann. Sie gehen auf die punische und römische Epoche zurück und dienten sowohl als Friedhöfe wie auch als Verstecke und sie waren weit verzweigt. Und genau in diesem Bereich befinden wir uns.«
»Dann sind wir ja gar nicht so weit von der Oberfläche entfernt?«, stellte Alisha nach Raul Vortrag fest und schaute sich um. »Vielleicht gibt es hier eine Möglichkeit, aus dem Höhlenlabyrinth herauszukommen? Vielleicht haben Axel und Jens ja einen Ausgang gefunden?«
»Wenn dem so wäre, glaub mir, dann hätten ihn die Bewohner von damals, mit Sicherheit auch gefunden. Das waren immerhin mehr als 100 Männer, vermutlich alle im besten Alter. Allerdings stellt sich mir jetzt erst recht die Frage, was für Menschen hier unten gelebt haben? Im Rahmen meines Studiums mussten wir die Folgen des Erdbebens von 1693 sehr genau durcharbeiten. Wir haben Listen der Toten studiert und eigentlich sind alle Verschütteten letztendlich gefunden worden, wenn auch manchmal erst nach Tagen und Wochen und alle wurden ordentlich begraben. Mehr als 100 verschollene Männer wären irgendwo verzeichnet worden. So viele Männer gab es damals nun doch nicht, als dass sie einfach mal so spurlos verschwinden konnten. Und wer hat diese grandiosen Baumaßnahmen veranlasst? Baumaßnahmen,
Weitere Kostenlose Bücher