Mama muss die Welt retten - wie Mütter vom Wickeltisch aus Karriere machen
Vorzeigemama: Vor knapp drei Jahren hat sie ihre Agentur Bold mit Partnerin Svenja Evers und einem staatlichenGründerzuschuss aus dem Boden gestampft. Heute ist sie Mitte 30, hat eine lange Liste fester Kunden wie Bugaboo , Villeroy & Boch , Casio , Mavi Jeans oder die Berliner Modemesse Bread & Butter , 19 festangestellte Mitarbeiter und eine dreijährige Tochter namens Ella.
Ihre Agentur liegt eingekeilt zwischen Pop-up-Stores und Vintage-Boutiquen, unweit von türkischen Gemüsehändlern und Kneipen und, wie alles in Mitte, umringt von schlecht gepflasterten Gehwegen, Müllresten und Graffiti.
Bei unserer Ankunft schläft Maxime noch tief und fest. Es hat mich viel Nerven gekostet, ihn an diesem Morgen von sieben bis zehn Uhr wach zu halten. Mein Plan sieht vor, dass er danach todmüde ist und zwei Stunden im Wagen durchschläft, ich mein Interview mache und wir dann im Biomarkt Mittag essen gehen. So die Theorie.
Denn natürlich kommt alles anders. Nur fünf Minuten, nachdem wir unsere Jacken in Julias Agentur ausgezogen haben, an einen Tisch gebeten wurden und von einer netten Assistentin einen dieser fancy Eistees angeboten bekommen haben, wacht Maxime natürlich auf. Pech! Ich hätte mich um ein Haar zum ersten Mal entspannt. Wie gut, dass ich wenigstens vorher noch meine Interviewunterlagen auf dem Tisch ausgebreitet habe. Macht immer einen seriösen Eindruck.
Ich vollziehe noch einen letzten Schnuller-Milch-Schaukel-Versuch, ihn wieder ins Wolkenreich zu wiegen – doch wie sagt man so schön: It’s already fucked. Maxime ist knallwach.
Und da kommt auch schon Julia lächelnd zur Tür rein. Sie hat ihre Haare zum Pferdeschwanz gebunden, trägt einriesiges Kuscheltuch um den Hals und einen wunderschönen, kugelrunden Bauch vor sich her.
»Ende Januar ist es soweit«, erzählt sie, setzt sich zu uns an den Tisch, knabbert an einer Birne aus dem Obstkorb vor ihr. Sofort ist das Eis gebrochen, und wir drei verfallen in den Mama-Plaudermodus.
Maxime interessiert das alles natürlich gar nicht. Wie ein kleines Äffchen klettert er auf mir herum, kratzt und kneift mit seinen Minimonsternägeln in meinem Gesicht, reißt mir die Klammer aus den mühevoll gebändigten Locken, bis ich ihm schließlich eine Pflaume aus dem Obstkorb in die Hand drücke, die er die nächste halbe Stunde auf dem hellen Agenturboden verteilt.
Julia gießt sich ein Glas stilles Wasser ein und lächelt uns an. Mir ist das schrecklich peinlich und ich gerate schon ins Schwitzen, aber irgendwie bin ich gerade nicht in der Lage, es zu ändern. Mitschreiben, mitdenken, Fragen stellen und gleichzeitig meinen Einjährigen bändigen – Error. Systemabsturz. Sorry.
Ich kapituliere, entscheide mich für das Interview und lasse ihn unter dem Tisch mit Obst rummatschen, wende mich wieder ihr zu, schon leicht aus der Puste.
Julia scheint das alles nicht zu jucken. In aller Seelenruhe wartet sie auf die erste Frage, strahlt gelassen vor sich hin und entspannt damit die Situation.
»Hier«, sagt sie zu Maxime, beugt sich unter den Tisch und reicht ihm einen ihrer Hochglanzkataloge, die auf einem Stapel auf dem Tisch liegen. »Den kannst du zum Spielen haben.« Dann richtet sie sich wieder auf. »Wisst ihr, es ist nicht so, dass wir hier so wahnsinnig viel Geld verdienen, wie viele denken, denn wir haben wirklichhohe Kosten. Aber hier ist alles meins. Was ich liebe, ist die Freiheit, mich entscheiden zu können, dieses Gespräch zu führen und um vier dann meine Tochter in der Kita abzuholen und mit ihr noch zum Laternenumzug zu bleiben.«
Ich nicke und schreibe mit, als wäre ich ihr Sektenjünger. Sofort fällt mir auf, wie positiv sie an die Dinge herangeht. Sie hat in den USA gelebt und gearbeitet, und offensichtlich hat die amerikanische Alles-easy-Einstellung bei ihr fürs Leben durchgeschlagen. Aber vor allem ist sie niemand, der sich verzettelt. Sie macht das, was sie kann, betont sie. Und das war wohl von Anfang an ihre größte Stärke.
Julia wuchs in Berlin und später in Heidelberg auf, wusste, dass sie »medial arbeiten wollte« und studierte deshalb Publizistik an der Freien Universität Berlin, wechselte später für das Fach Wirtschaftskommunikation an die Universität der Künste, absolvierte Praktika unter anderem bei MTV , schrieb einige Artikel für das Deutsch Magazine . Julia war schon damals ehrgeizig.
»Im Boudoir , einem dieser Berliner Nachtclubs von früher, am Rosenthaler Platz, zog ich damals eine Tarotkarte«,
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