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Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Titel: Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Birgit;Lolosoli Virnich
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verwahrlosten ihre Kinder, irrten durch die Dörfer und wurden in der Halbwüste nicht selten von Hyänen gerissen. Wenn sie Glück hatten, landeten sie bei anderen Frauen, die sie in ihre Familien aufnahmen, oder wir versuchten im Laden jemanden zu finden, der sich um die Kinder kümmern konnte. So entstand über die Jahre ein Netzwerk von Frauen für Frauen. Wir versuchten uns gegenseitig unter die Arme zu greifen. Oft besuchte ich die inhaftierten Frauen im Gefängnis und brachte ihnen etwas Essen vorbei.

    Um Kundinnen musste ich mir keine Sorgen mehr machen und zunehmend rief man mich, wenn es um die Belange der Frauen ging, vor allem um Gewalt gegen Frauen. Ich nahm kein Blatt vor den Mund und wurde oft zu Hilfe gerufen, um zwischen Männern und Frauen zu schlichten. In der Gemeinde galt ich bald als die Sprecherin der Frauen. Auch wenn das die älteren Samburu-Männer nicht gerne sahen, wurde ich offiziell zur Vorsitzenden des Bezirkskomitees gewählt. Mein Schwiegervater und einige Vertreter des Ältestenrates beschwerten sich, ich mische mich in Dinge ein, die mich als Frau nichts angingen. Es kam also einem Wunder gleich, dass ich Anfang der Neunzigerjahre am sogenannten Jamhuri Day, dem Unabhängigkeitstag Kenias, eine Ansprache halten durfte.
    Wie im ganzen Land feierten auch wir Samburus an diesem höchsten kenianischen Feiertag die Unabhängigkeit Kenias mit einer Reihe von Festreden. Nairobi war zwar weit weg und die nationale Politikbühne schien unsere Interessen nicht wahrzunehmen, doch auch hier in der Abgeschiedenheit der Halbwüste wollten wir ein Teil dieser modernen Nation sein. Damit so viele Leute wie möglich zuhören konnten, befestigten einige der jungen Morani an einigen Dukas im Ort Lautsprecherboxen. Schon bald hatten sich auf dem Platz vor der Polizeistation am Ortseingang die ersten Menschentrauben gebildet. Vorne in den ersten Reihen hatten sich die Dorfältesten in ihren schönsten Shukas vor den Politikern postiert. Ganz hinten standen die Frauen, die sich mit ihrem traditionellen Schmuck und ihren bunten Tüchern eigens für den Anlass herausgeputzt hatten. Gebannt hörten sie zu, wie die langatmigen Versprechen und Beteuerungen der gesamten regionalen Politikergarde aus den Lautsprechern scheppernd über den Platz hallten.
    Dann hatte der District Commissioner, der DC, wie wir ihn nannten, das Wort. Auf Geheiß der Regierung in Nairobi las er die Rede des kenianischen Präsidenten Daniel Arap Moi vor.
Er leierte sie herunter und die Worte des Präsidenten, der sich als großer Landesvater aufspielte, wirkten ziemlich absurd. Hier in der Provinz fühlten wir Samburus uns eher wie seine ungeliebten Kinder. Seit der Unabhängigkeit 1963 war kaum Geld in unsere verarmte Gegend geflossen. Nicht ein einziges Krankenhaus, keine Straßen geschweige denn Schulen waren hier je von der Regierung gebaut worden. Die meisten Schulen wurden von Missionaren betrieben, die Dreckpisten hatten die Engländer geebnet. Die lobenden Worte über die Fortschrittlichkeit des modernen Vielvölkerstaates Kenia wirkten hier draußen vor diesem Hintergrund also etwas grotesk. Denn für uns hatte es seit der Unabhängigkeit keine nennenswerten Verbesserungen gegeben. Viele Samburus hatten ohnehin keine klare Vorstellung vom Rest Kenias, da sie die Region noch nie in ihrem ganzen Leben verlassen hatten. Dennoch überboten sich die Redner gegenseitig in ihren Lobhudeleien.
    Mein Anliegen, die Interessen der Frauen zu wahren und ihre Situation ungeschminkt darzustellen, fiel also aus dem Rahmen und passte so gar nicht in das politische Klima in unserem kleinen Dorf. Die Frauen tanzten und sangen, als der DC die Rede beendet hatte, und nach einer Weile ergriff ich das Mikrofon. Die Frauen klatschten. Die alten Herren rümpften die Nase. Das hatte es noch nie gegeben: eine Rednerin, die an so einem Festtag die Bedürfnisse der Frauen und Kinder in den Mittelpunkt ihrer Ansprache stellte und von den Politikern forderte, darauf einzugehen.
    »Wir Frauen sind die Wächter der Samburu-Kultur«, erklärte ich. Das Publikum hielt den Atem an. Was würde jetzt kommen? Doch eigentlich sagte ich damit nichts Sensationelles. Das waren die Worte des Samburu-Ältestenrats bei meiner Hochzeit gewesen. »Ihr müsst uns unterstützen, denn wir sind es, die eure Kinder großziehen. Ohne uns gibt es keine Entwicklung in dieser armen Region, weit weg von den Zentren der Macht im reichen Süden.«

    Derartige Töne waren ungewohnt

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