Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
bei den Jamhuri-Feiern. »Wie könnt ihr es zulassen, dass eure Frauen vergewaltigt werden? «, fragte ich weiter. »Wie könnt ihr es übers Herz bringen, eure geschändeten Frauen dann auch noch vor die Tür zu setzen? Ihr stürzt sie in die Armut und eure Kinder auch. Statt sie zu schützen, verprügelt ihr sie. Ihr solltet eure Frauen ehren, denn sie sind es, die euch euer Essen kochen, eure Kinder versorgen und eure Familie zusammenhalten.«
Tosender Beifall brandete auf. Mir fielen Frauen um den Hals, die ich nicht kannte. Sie umarmten mich und bedankten sich bei mir. Endlich hatte eine Frau den Mut besessen, sich in der Männergesellschaft aufzurichten und sich für die Belange der Frauen starkzumachen. Ich hatte ausgesprochen, was sie nie zu sagen gewagt hätten. Ich hatte die Gewalt gegen Frauen öffentlich beim Namen genannt. Mein Schwiegervater war wütend. Er würdigte mich keines Blickes und ging wortlos an mir vorbei. Er fühlte sich öffentlich gedemütigt. In seinen Augen hatte ich Schande über die Familie gebracht und die alte Ordnung infrage gestellt. Um uns herum hatten sich viele kleine Grüppchen gebildet. Alle diskutierten heftig. Meine Rede zeigte Wirkung. Sie war der Gesprächsstoff für die nächsten Wochen.
Während ich noch über die Reaktion meines Schwiegervaters nachdachte, ergriff plötzlich jemand meine Hand, drückte sie fest und blickte mir tief in die Augen. Vor mir stand eine hagere Samburu-Frau, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Ihr Name war Nagusi Lolemu. »Schwester, ich danke dir für deine Worte«, sagte sie und fiel mir um den Hals. »Ich bin so froh, dass es dich gibt, dass endlich eine von uns die Kraft besitzt, für uns zu sprechen. Du glaubst gar nicht, was mir das bedeutet. Weil ich sehe, wie stark du bist, kann auch ich wieder an mich glauben. Du hast mir Mut gemacht.« Sie umarmte mich und die dicken Tränen, die über ihre Wangen liefen, zeugten nicht nur von ihrem Leid, sondern waren gleichzeitig Freudentränen.
Dann begann Nagusi zu erzählen. Ihre tiefe, sonore Stimme zog mich in ihren Bann. In dem Stimmengewirr um uns herum nahm ich plötzlich allein ihre Worte wahr. Ich schaute mich noch kurz um und sah meinen wütenden Schwiegervater inmitten der alten Samburu-Herren. Er gestikulierte wild und ereiferte sich aufs Äußerste. Doch auf einmal war das alles nicht mehr wichtig, nur noch Staffage. Ich hörte zu. Nagusis Geschichte sollte mein Leben für immer verändern.
Nagusi, etwas älter als ich, war genau wie ich in einem kleinen Dorf groß geworden. Dann hatte auch sie in eine Familie in der Nähe von Archer’s Post eingeheiratet. Eines Tages war sie Opfer einer Gruppenvergewaltigung durch britische Soldaten geworden. Es geschah nachmittags beim Wäschewaschen am Fluss. Drei junge Männer hatten sich auf Nagusi gestürzt und sie abwechselnd missbraucht. Verwundet schleppte sich Nagusi in ihre Manyatta. Als sie ihrem Mann schluchzend erzählte, was passiert war, griff dieser nach einem Stück Holz und verprügelte seine ohnehin schwer verletzte Frau, bis sie sich kaum noch aufrichten konnte. Er schrie sie an, warf ihr vor, den Namen der Familie in den Dreck gezogen zu haben, und verstieß sie.
Ohne die Hilfe einer Nachbarin hätte Nagusi nicht überlebt, denn sie konnte kaum noch laufen. Die Frau nahm sie auf und pflegte sie, bis sie sich halbwegs erholt hatte und in der Lage war, sich auf den Weg zu einer Verwandten zu machen. Mit diesem Entschluss zog sie die Missachtung des gesamten Dorfes auf sich. Tagelang bangten beide Frauen um ihr Leben, weil sie den Zorn der Dorfbewohner fürchteten. Eines Nachts schlich sich Nagusi mit einem kleinen Bündel davon. Sie wollte endlich frei sein und dem Hass ihres Mannes, der so alt war, dass er ihr Vater hätte sein können, entkommen. Doch richtig frei wurde sie nie. Immer wieder stellte er ihr nach. Jedes Mal, wenn er sie aufgespürt hatte, machte er ihr Vorhaltungen und verprügelte sie.
Nagusi lebte in ständiger Angst, bis sie sich nach Archer’s Post absetzte. Die Furcht, dass er sie nun auch hier aufspüren könnte, war groß. »Ich wünsche mir ein Leben in Frieden«, meinte Nagusi abschließend. Worte, die sich tief in meine Seele einbrannten und die ich nicht mehr vergessen würde. »Wir müssen uns zusammentun, uns gegenseitig stützen«, erklärte sie. Und es war dieser Appell, der mich nie wieder loslassen würde. Am Ende ließen mich ihre Worte sogar über mich selbst
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