Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
gelaufen. Plötzlich habe es im Gebüsch geknackt und zwei Männer in Uniformen seien aus den Büschen gesprungen, erzählte sie. Martialisch hätten sie sich vor ihr aufgebaut und ihr den Weg versperrt. Lachend hätten sie ihr die Shuka vom Leib gerissen, sie zu Boden geschmissen und vergewaltigt. Blutend hatte sie sich in ihr Dorf geschleppt und in ihre Hütte gerettet. Dort hatte ihr eigener Mann sie aber nur angeschrien. Er habe getobt, erzählte die junge Frau, und sie mit den Füßen getreten. Es habe ihr das Herz gebrochen. Er habe sich ihre Erklärungen nicht einmal anhören wollen. »Geh mir aus den Augen«, habe er geschrien. Dann hatte er sie kurzerhand vor die Tür gesetzt. Die junge Frau weinte bitterlich. Ihr Leben sei in jener Nacht zerstört worden, klagte sie. Sie lebte seither bei ihrer Mutter und schlug sich mehr schlecht als recht mit dem Brauen von Changaa, einem hochprozentigen Schnaps aus Mais oder Getreide, durch. Ich tröstete sie. Ich glaube, es war das erste Mal, dass sie einer Fremden von dem
fürchterlichen Erlebnis erzählte. Für sie war es befreiend, für mich beklemmend. Mir war sofort klar, dass es sich bei den Vergewaltigern um britische Soldaten vom nahe gelegenen Militärstützpunkt gehandelt haben musste.
Nachdem sich diese erste Frau getraut hatte, über ihr schreckliches Schicksal zu sprechen, tauchten bald weitere Frauen mit ähnlichen Geschichten auf. Die Berichte über Vergewaltigungen durch britische Soldaten häuften sich. Fast alle hatten Ähnliches erlebt. Sie waren abends in der Dämmerung außerhalb ihrer Dörfer überfallen und misshandelt worden. Viele der Frauen hatten jahrelang geschwiegen, doch mittlerweile hatte sich unter den Frauen die Geschichte herumgesprochen. »Nehmt euch in Acht vor den Soldaten«, raunten sie den Mädchen zu. »Manchmal machten sich gleich mehrere Weiße neben grasenden Ziegen über eine Frau her«, erzählten sie mir in meiner Duka. Erst Jahre später kümmerte sich ein Anwalt um ihre Anliegen.
Seit Jahrzehnten war ein britisches Armeekontingent vor den Toren von Archer’s Post stationiert. Das Straßendorf war schon in der Kolonialzeit ein britischer Stützpunkt gewesen und galt als Tor zum unzugänglichen Samburu-Distrikt, damals ein militärischer Sperrbezirk. Einige der Soldaten schienen sich regelmäßig an Samburu-Frauen zu vergehen. Statt ihnen zu helfen, gaben die Ehemänner ihren Frauen die Schuld und warfen sie aus ihren eigenen Häusern. An eine Rückkehr zu ihren Familien war bei den meisten Frauen nicht mehr zu denken. Aus Verzweiflung versuchten sie sich dann irgendwie durchzuschlagen.
Manchmal brauten die Frauen dann Changaa, was so viel heißt wie »Töte mich schnell«. Doch wenn sie beim Verkauf von Changaa erwischt wurden, beschlagnahmte die Polizei den Schnaps und meistens mussten sie dann auch noch ein Bußgeld zahlen. Wenn sie kein Geld hatten, landeten sie im Gefängnis. Zunehmend versuchten wir uns auch um diese inhaftierten
Frauen im Umkreis von Archer’s Post zu kümmern. Die meisten saßen in völlig verdreckten Zellen ihre Haftstrafen ab. Oft tranken die Polizisten den selbst gebrauten Schnaps selber oder verkauften das hochprozentige Gebräu weiter. Die Kinder dieser Frauen blieben derweil sich selbst überlassen. Sie irrten dann oft hungrig über die staubigen Pisten, wurden angefahren oder von wilden Tieren angefallen. Um das zu verhindern, bat ich die Polizisten, mich einzuschalten, wenn sie eine Frau aufgriffen. Doch meistens sagten sie nicht Bescheid, denn sie wussten, dass ich auf sie einreden würde, die Frau sofort wieder freizulassen. Da ich sehr hartnäckig war und sie ihre Autorität nicht infrage gestellt wissen wollten, versuchten sie das zu umgehen und schwiegen.
Für viele Frauen war dies ein ewiges Versteckspiel, sich so ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ich riet ihnen, wie einigen anderen Frauen auch, traditionellen Schmuck aus Perlen herzustellen, den ich dann in meinem Laden für sie verkaufen könnte. Einige der Frauen hatten sich bereits zusammengeschlossen und boten ihre Ketten am Straßenrand den Touristen an. Ich ermunterte sie, sich ihnen anzuschließen, denn das war ein sicherer Weg seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Doch manche Frauen versuchten weiterhin sich mit dem selbst gebrauten Schnaps durchzuschlagen. Meist geriet ihr Leben in einen Teufelskreis. Immer wieder wurden sie von der Polizei aufgegriffen und während sie im Gefängnis ihre Strafen absaßen,
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