Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
können, wenn ich nur das Vertrauen meiner Schwiegereltern genossen hätte. So raubten mir die ständigen Auseinandersetzungen mit meinem Schwiegervater viel Energie. Doch in jenen Nächten
atmete ich die frische Morgenluft und die Düfte, die von den Manyattas zu uns drangen, tief ein. Manchmal schnappten wir auch ein paar Wortfetzen von Viehhirten auf, die sich unter die Akazien am Wegesrand gesetzt hatten. Wie alle Nomaden begrüßten wir einander wortreich und erkundigten uns nach den neusten Ereignissen und den Familien.
Im Morgengrauen kamen wir dann in Isiolo an und während die Händler um uns herum noch ihre Stände aufbauten, tranken wir im morgendlichen Chaos unsere erste Tasse dampfenden Chai. In einem wahren Völkergemisch von Somalis, Samburu- und Borana-Nomaden begutachteten wir das Gemüse und Obst der Kikuyu-Händler. Über die Jahre bauten wir zu einigen Händlern ein Vertrauensverhältnis auf.
Kurze Zeit später kauften wir inmitten hektisch gestikulierender Verkäufer, die ihre Kamele, Kühe und Ziegen meistbietend versteigerten, Mehlsäcke und Gemüse. Da wir unsere Waren nicht zurückschleppen konnten, wuchteten ein paar Träger sie durch das hektische Markttreiben zu den Matatus, die sie nach Archer’s Post lieferten. Manchmal musste ich dort allerdings tagelang auf meine Mehlsäcke warten, denn die Fahrer nahmen sie nur mit, wenn sie in ihren völlig überfüllten Bussen auf dem Dach zwischen all den Hühnern und Matratzen noch etwas Platz hatten. Wenn sie nicht eintrafen, ging ich immer wieder unruhig zu den bekannten Haltestellen in Archer’s Post und erkundigte mich bei den Fahrern nach meiner Fracht.
Während mich Fatuma beruhigte, machten mir meine Schwiegereltern Vorhaltungen. Wie könne ich nur ein paar dahergelaufenen Fahrern meine Waren überlassen? Ich werde schon sehen, was ich davon habe, erklärten sie mir. Eines Tages würde einer der Fahrer mit den Lebensmitteln durchbrennen, prophezeiten sie mir. Das könne doch gar nicht gut gehen. Fatuma baute mich jedes Mal auf, wenn ich verzweifelte. Doch in all den Jahren ist mir nie eine Ladung abhanden gekommen.
Ganz im Gegenteil: Mein kleines Geschäft expandierte von Jahr zu Jahr.
Als die Frauen aus der Umgebung von Archer’s Post merkten, dass ich keine überhöhten Preise nahm, kamen sie und kauften regelmäßig bei mir Maismehl und Tee und ersparten sich selbst den mühsamen Weg nach Isiolo, der vor allem für die älteren Frauen sehr beschwerlich war. Bald hatte ich eine Reihe von Stammkundinnen. Die Frauen gaben bei mir ihre Vorbestellungen auf, um sich so ihre Lebensmittel zu sichern. Manche kamen von weit her aus den Manyattas im Umkreis von Archer’s Post. Für sie war es wichtig, den langen Weg nicht umsonst zu laufen. Und sie wussten, dass sie sich auf mich verlassen konnten. Nur manchmal, wenn Lebensmittel knapp wurden, weil es monatelang nicht geregnet hatte, konnte ich ihnen nur einen Teil der bestellten Waren verkaufen. Dann musste auch ich wochenlang auf Nachschub warten.
Meine Kinder genossen eine unbeschwerte Kindheit im Trubel zwischen all den Verkaufsbuden. Anfangs waren es Tom, Janet, Sammy und Kevin. Meine jüngste Tochter Sylvia kam erst Jahre später als Nachzüglerin auf die Welt. Den ganzen Tag über tobten die vier mit den Kindern der anderen Händler draußen herum, liefen laut kreischend umher oder spielten zwischen den Kiosken Verstecken. Oft trugen sie auch Fußballturniere aus, für die sie aus Plastiktüten Bälle zusammenschnürten, oder sie bauten sich aus alten Konservendosen kleine Trommeln und zogen singend durch die Nachbarschaft. Als Tom älter wurde, bastelte er sich auch oft aus Kronkorken ein Bao, eine Art afrikanisches Damespiel.
Wenn ich Zeit hatte, legte ich eine Pause ein. Ich hockte mich dann zu ihnen auf die Veranda und sang mit ihnen Lieder, die ich einst von Mama Meroni gelernt hatte. So brachte ich ihnen wenigstens einige der alten Samburu-Kinderlieder bei. Eigentlich wäre dies auch die Aufgabe meiner Schwiegermutter gewesen, doch sie schien daran keinen Spaß zu haben
und gab sich nur selten mit ihren Enkeln ab. Manchmal halfen mir meine Kinder auch im Laden. Wenn die Matatu-Fahrer wieder mal ein paar prallvolle Mehlsäcke und andere Waren geliefert hatten, gingen sie mir beim Einräumen zur Hand. Als Belohnung verteilte ich dann Süßigkeiten.
Es war herrlich zu sehen, wie sie die Karamellbonbons aus dem fernen Nairobi genüsslich lutschten. Karamell war etwas ganz
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