Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
ganzen Gegend werden.« Damit war klar, dass wir ganz genaue Vorstellungen hatten. Ohne Murren legten sie los. Schon bald war das Fundament gegossen und die ersten Mauern ragten aus der Halbwüste.
In ihren Pausen fragten sie uns neugierig aus. »Wie könnt ihr nur ohne Männer leben?«, wollten sie wissen. »Sehr gut«, konterten wir kichernd. »Hervorragend sogar. Ohne Männer lebt es sich stressfreier«, erklärten wir den völlig verdatterten Bauarbeitern. Während sie unser Essen herunterschlangen, umrissen wir in Kürze unsere Dorfordnung. »Wir haben hier das Sagen. Das Land gehört uns Frauen und wir dulden keine Gewalt gegen Frauen.« Sobald wir uns in unsere Manyatta zurückgezogen hatten, zerrissen sie sich dann aber doch die Mäuler. Sie waren die ersten Männer, die wir so nah an uns heranließen. Und sie konnten jetzt mit ihren Eindrücken vor den anderen prahlen – denn jeder in Archer’s Post und den umliegenden Dörfern wollte wissen, wie wir lebten.
Nach ein paar Tagen erhob sich vor unseren Augen der Rohbau. Dann wurden zwei große Tafeln und ein paar Schulbänke aus Isiolo geliefert und wir feierten die Einweihung unserer kleinen Dorfschule. Mein Bruder, der an der Schule in Wamba arbeitete, half mir dabei, Lehrer aus der Region zu finden, die die drei Sprachen Suaheli, Englisch und Samburu beherrschten und unsere Kinder unterrichteten. Bald liefen die ersten Schüler kreischend über den staubigen Schulhof. Fortan hallten dieselben Lieder, die ich bei den Missionaren gelernt hatte, über den Hof. Ich frohlockte und schickte auch meine Kinder in diese Schule. Wenn ich sie singen und buchstabieren hörte, jubilierte ich. Das war wahrscheinlich der wichtigste Meilenstein in der Geschichte unseres Dorfes: eine eigene Grundschule. Es bedeute uns viel, dass unsere Kinder lesen und schreiben lernten, denn viele der Frauen hatten nie eine Schule von innen gesehen und unsere Kinder sollten besser vorbereitet ins Leben gehen können als wir.
In dieser Aufbruchsstimmung kam meine jüngste Tochter Sylvia auf die Welt. Sie wurde ein richtiges Umoja-Kind und wuchs hier auf. Sie verbrachte mehr Zeit in Umoja bei den Frauen als alle meine anderen Kinder. Ich nahm sie überallhin mit. Sie wurde auch von den anderen Frauen gern herumgetragen, sanft in den Schlaf gewiegt und spielte, als sie etwas älter war, stundenlang mit den anderen Kindern. Deshalb ist sie Umoja und den Frauen bis heute sehr verbunden, mehr als meine anderen Kinder.
Entgegen aller Prognosen verwandelten wir das dichte Buschland Stück für Stück in eine Oase. Umoja war mittlerweile ein herrliches Stückchen Erde. Zufrieden schaute ich auf unsere Lehmhütten, in denen die Frauen mit ihren Kindern schliefen. Mittlerweile waren wir fast vierzig Frauen, die zusammen mit ihren Kindern in Umoja untergekommen waren, unter ihnen eine Reihe von jungen Mädchen, die sich geweigert hatten, alte Männer zu heiraten, oder die sich von ihren
prügelnden Ehemännern getrennt hatten. Sobald sie von unserem Dorf erfuhren, fanden sie den Mut, ihre Familie zu verlassen und sich aus ihren strengen Traditionen zu lösen. Unser jüngstes Dorfmitglied war gerade mal dreizehn Jahre alt, als sie von ihren Eltern verheiratet wurde. Sie war erst seit Kurzem in Umoja. Weil ihr Mann sie ständig geschlagen hatte, war sie von zu Hause weggelaufen. »Meinem Sohn werde ich Respekt vor Frauen beibringen«, erklärte die junge Anna.
»Ich glaube, ich war noch nie so glücklich wie hier im Dorf«, meinte Nagusi eines Tages. »Uns geht es finanziell besser als je mit unseren Ehemännern. Ich möchte nie wieder unter der Knute eines Mannes stehen«, erklärte sie und schlachtete grinsend eine Ziege. Als ihr Ehemann sie als »unrein« hinausgeworfen hatte, war sie am Boden zerstört gewesen. Jetzt wurde sie zunehmend zur Vorreiterin für Frauenrechte. Wir hatten hart für dieses unabhängige Leben gearbeitet und viel Verachtung ertragen müssen.
In Umoja war Frieden eingekehrt, nicht aber bei mir zu Hause. Nach einer anfänglichen oberflächlichen Versöhnung gerieten mein Mann und ich wieder häufiger aneinander. Es missfiel ihm, dass ich so viel Zeit bei den Frauen in Umoja verbrachte. Er beschwerte sich nun vehement, dass ich so wenig zu Hause sei. Wenn er betrunken war, beschimpfte er mich und warf mir vor, dass ich alt geworden sei. Ich bat ihn, mich gehen zu lassen, doch das lehnte er strikt ab. Wir stritten uns immer heftiger. Eines Tages schlug er mich grün und
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