Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
brutaler als hier. Uns wurde klar, dass die Gewaltausbrüche unserer Männer am Ende also doch kein Phänomen waren, das sich auf diese abgeschiedene Region beschränkte. Überall in Kenia gab es Frauen, die der Gewalt von Männern ausgeliefert waren, oft lebten sie in großer Armut.
Die hagere Nagusi wirkte noch in sich gekehrter als sonst. Nach all dem, was sie erlebt hatte, Ächtung und Gewalt, war die Erkenntnis schmerzhaft, dass dieses Verhalten in unserem Land Kenia nicht akzeptabel war.
Nach dem Thema Gewalt stand der Punkt Beschneidung auf dem Plan. Für uns war das ein Tabu. Eigentlich sprachen wir nicht darüber, schon gar nicht mit einer Fremden aus Nairobi. Die Beschneidung gehörte einfach zu unserer Kultur und wurde nicht hinterfragt. »Was kann uns so eine Intellektuelle schon darüber erklären?«, fragten einige der Frauen abwehrend. Doch dann saugten wir jedes Wort der jungen Frau auf
und erfuhren, dass der Begriff »Beschneidung« im Englischen längst durch die Worte »weibliche Genitalverstümmelung« ersetzt worden war. Diese Worte trafen besser zu und nannten die Dinge beim Namen. Diese Erkenntnis traf uns wie ein Blitz. Wir nickten traurig und erkannten, dass uns genau das widerfahren war: die Verstümmelung unserer Genitalien. Das Wort »Beschneidung« sei beschönigend, erklärte uns die junge Frau aus Nairobi. »Man denkt dabei an einen Mann, dessen Vorhaut beschnitten wird. Bei euch Frauen wird die Klitoris entfernt, und das kann man mit einer Kastration vergleichen.«
Wir waren entsetzt. Selbst ich, die ich sicherlich etwas mehr wusste als die anderen Frauen, begriff erst jetzt die Zusammenhänge und musste an meine eigene Verstümmelung denken. Das Wort beschrieb die qualvolle Prozedur sehr gut, fand ich. Mir wurde klar, wie massiv ein derartiger Eingriff ist, warum ich dabei so viel Blut verloren hatte und fast gestorben wäre. Man hatte mir meine Klitoris und meine Schamlippen entfernt, ohne das Messer richtig sterilisiert zu haben. Diese späte Einsicht war niederschmetternd.
Dieser Workshop war für uns Betroffene, die wir dieses fürchterliche Ritual zum Teil selbst eingefordert und vorangetrieben hatten, eine sehr schmerzhafte Erfahrung. Endlich tauschten wir uns über unsere Erfahrungen aus und sprachen darüber. Uns wurde klar, wie unmenschlich diese Tradition war. Eine Beschneidung unserer Frauenrechte.
Ich verstand plötzlich, wie sehr mich die Beschneidung einschränkte. Ich hatte nicht einmal meine Kinder allein zur Welt bringen können. Bei jeder Geburt platzten die Narben auf und mussten genäht werden. Sex war für mich oft eine schmerzhafte Angelegenheit und ich hatte immer geglaubt, dass das normal sei. Jetzt wurde ich eines Besseren belehrt. Ich verstand, dass die Schmerzen auf die Beschneidung zurückzuführen waren. Wie meine Mutter hatte ich geglaubt, dass diese Schmerzen zum Frausein dazugehören, deswegen hatte ich
sie nie infrage gestellt. Ich nahm mir fest vor, meine eigenen Töchter davor zu bewahren. Ich würde nicht zulassen, dass sie beschnitten werden.
Plötzlich stand eine alte Dame aus Wamba vor mir. Die korpulente fünfundsiebzigjährige Helen Lenayasa aus meiner Heimatstadt hatte gehört, dass ich ein eigenes Dorf gegründet hatte, und wollte mich unbedingt besuchen. Sie war neugierig, was aus mir geworden war, und wollte sich das Dorf der Emanzen einmal mit eigenen Augen anschauen. Helen war die Schwester meiner Beschneiderin. Sie kannte mich also seit vielen Jahren und wusste, wie elend es mir damals nach der Beschneidungszeremonie gegangen war.
Sie fiel aus allen Wolken, als sie nun von unserer Referentin erfuhr, dass das Ritual, das uns Samburu-Frauen angeblich reinigte und erst richtige Frauen aus uns machte, in Wirklichkeit ein Akt der Barbarei war. »Es zerstört den Kern eurer Weiblichkeit«, erklärte die selbstbewusste Frau aus Nairobi. Der Satz wirkte wie ein Faustschlag in die Magengrube. Mir war schwindelig wie damals bei meiner Beschneidung. Der Geruch des Kautabaks stieg mir in die Nase und mir wurde übel. Ich schaute zur alten Helen. Die füllige Frau saß auf ihrem Stuhl und schluchzte. Sie hatte aufmerksam zugehört und war sichtlich erschüttert. Tränen liefen über ihr rundes Mondgesicht. All die Mädchen, die ihre Schwester über die Jahre unter dem Messer gehabt hatte, waren in Wirklichkeit gequält, verletzt und verstümmelt worden. »Ich habe meine Schwester immer bewundert«, brach es aus ihr heraus. Jetzt schämte sich
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