Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
die gutmütige Frau, den grausamen Brauch unterstützt zu haben. Sie war entsetzt über ihre eigene Naivität und bedauerte, dass sie ihrer Schwester bei diesem bestialischen Ritual assistiert hatte.
Seit jenem Workshop ist die mittlerweile Achtzigjährige eine unserer verlässlichsten Kämpferinnen gegen die Beschneidung. Selbst im hohen Alter läuft die alte Dame noch kilometerweit, um ein solches Ritual abzuwenden, wenn sie mitbekommt, wo
wieder eines ansteht. Helen Lenayasa ist eine der wenigen alten Frauen, die sich im Samburu-Distrikt gegen die Verstümmelungen auflehnt und auch kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es darum geht, dagegen anzureden. Unermüdlich bekniet sie die alten Frauen, davon abzulassen – und sie ist die Einzige, der die alten Beschneiderinnen zuhören. Da unsere Großmütter bis heute die treibenden Kräfte hinter dieser Prozedur sind, ist es umso wichtiger, dass es alte Frauen wie Helen gibt, die ihnen die Folgen ihres Tuns vor Augen führen. Den Worten Helens schenkt man in unserer Gesellschaft mehr Glauben als unseren. Ohne die Unterstützung dieser älteren Generation wäre es überhaupt nicht möglich, die Großmütter und Mütter davon abzuhalten, ihre jungen Töchter verstümmeln zu lassen.
Zu Hause konnte ich über diese Themen nicht sprechen, ohne einen fürchterlichen Streit vom Zaun zu brechen. Mein Mann regte sich fürchterlich auf, wenn ich »die Ideen westlicher Emanzen«, wie er es nannte, in unsere Familie einführte. Ich verbrachte immer weniger Zeit in unserem Haus in Archer’s Post, da ich es satthatte, ständig auf der Hut sein zu müssen, was ich erzählte. Ich pendelte zwischen den beiden Welten, die weniger als zwei Kilometer auseinanderlagen, die jedoch in Wahrheit Lichtjahre trennten.
Die Kluft zwischen meinem Mann und mir wurde immer größer. Ich glaube, er spürte, dass ich mich mehr und mehr von ihm lossagte. Wir hatten keine gemeinsame Gesprächsebene mehr. Auch wenn er gebildeter war als ich, war er ein glühender Verfechter der Samburu-Traditionen und sträubte sich gegen alles, was diese zu bedrohen schien. Manchmal, wenn er betrunken nach Hause kam, beschimpfte er mich und warf mir vor, unsere Kultur mit Füßen zu treten. Wenn er mich schlug, flüchtete ich in Sylvias Zimmer oder nach Umoja. Wären die Kinder nicht gewesen, hätte ich mich in unserem Haus in Archer’s Post wahrscheinlich gar nicht mehr sehen lassen.
Doch sie hingen an ihrem Vater und für sie wäre eine Welt zusammengebrochen, wenn ich ihn verlassen hätte.
Mitten in einem dieser Streitgespräche rief mich eines Tages der berühmte britische Menschenrechtsanwalt Martyn Day an. Ich kannte seinen Namen, da er für eine Reihe Samburus, die auf dem Gelände rund um das britische Armeecamp vor den Toren von Archer’s Post auf Minen getreten waren, Entschädigungen erstritten hatte. Darunter war auch einer meiner Brüder, der beim Ziegenhüten eine Mine angefasst und bei der Explosion eine Hand verloren hatte. Ich war überrascht und dann völlig euphorisch. Nach dem Erfolg mit den Minenopfern wollte Martyn Day nun die Fälle der vergewaltigten Frauen rund um Archer’s Post aufarbeiten. Bereitwillig stellte ich den Kontakt zu einigen Frauen her. Wir schöpften neue Hoffnung, dass das Unrecht gegen uns Frauen wenigstens anerkannt würde, wenn sich ein bekannter Anwalt damit beschäftigte. Doch wir mussten uns gedulden. Lange passierte gar nichts. Die britische Armee – es waren ja britische Soldaten, gegen die wir vorgehen wollten – rührte sich nicht.
Mit vereinten Kräften bohrten wir nach, bis endlich Bewegung in die Angelegenheit kam. Die Frauen wurden auf das Armeegelände vorgeladen. Ich war entsetzt. Für die Betroffenen war die Vorstellung, den militärischen Stützpunkt der Briten zu betreten, grauenvoll. Es fiel ihnen ohnehin schwer, mit Fremden über die Vergewaltigungen zu sprechen, und nun sollten sie das auch noch an einem Ort, der ihnen Angst einflößte. Sie fühlten sich an die Wand gedrängt. Einige jammerten laut los, als ich mit ihnen darüber sprach. Es war also gar nicht daran zu denken, die Befragung so durchzuführen. Außerdem war für die Gespräche keine Samburu-Übersetzerin vorgesehen, und das, obwohl kaum eines der Opfer Suaheli sprach, geschweige denn Englisch. Lediglich eine junge Übersetzerin sollte für die Offiziere dolmetschen. An die Frauen hatte man gar nicht gedacht. Und auch meine Anwesenheit sei
nicht erwünscht, hieß es. Unter diesen
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