Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
ging ihnen genauso wie den Frauen rund um Archer’s Post. Auch sie waren Verstoßene in der eigenen Gesellschaft.
Der Marsch sollte auf das Schicksal der Frauen hinweisen. Die vielen Vergewaltigten stellten neben den Kindersoldaten eine der größten Herausforderungen für die kongolesische Gesellschaft dar. Die Hilfe internationaler Organisationen entsprach nur einem Tropfen auf den heißen Stein. Ich war
entsetzt. So viel Leid an einem Ort! Ich hatte viel über den schwelenden Krieg im Ostkongo gehört. Doch hier in den Holzhütten hätte ich vor Wut schreien können. »Wie Raubtiere fallen sie über uns her. Es ist ihnen egal, ob wir achtzig Jahre alt sind oder acht«, erzählte uns die zwanzigjährige Eugenie, eine Mutter von zwei Kindern.
Wir hangelten uns immer tiefer den Berg runter. Hier gab es weder Straßen noch Strom noch fließend Wasser. »Es wird immer schwieriger, ein Dach über dem Kopf für die Opfer von Vergewaltigungen zu finden«, erzählte uns eine kongolesische Sozialarbeiterin. Die Nachbarn hätten oft kein Verständnis. Die Hütten im Tal habe es früher nicht gegeben. Hier wohnten jetzt Menschen, die vor dem Krieg geflohen waren, vor allem Frauen. Wir vier Samburu-Frauen in unseren roten Shukas und Perlenketten fielen überall auf. In den Hängen hieß es bald »die starken roten Frauen kommen«. Viele hielten uns auch für Massai.
Bevor es dunkel wurde, kehrten wir in die kleine Hütte von Marenzi ein. Marenzi, eine zweiundvierzigjährige, schmächtige Kongolesin, Mutter von drei Kindern, hatte sich mit letzter Kraft nach Bukavu geschleppt. Draußen in ihrem kleinen Dorf wäre sie um ein Haar verblutet, nachdem ruandische Milizen sie vergewaltigt hatten.
»Immer wieder sind sie vor den Augen meines Mannes über mich hergefallen«, erzählte die Zweiundvierzigjährige der Sozialarbeiterin. Ich war fassungslos. Auf der Flucht waren sie in die Hände von Milizen gefallen. Die hatten dann ihre Tochter vergewaltigt, ein zwölfjähriges Mädchen. Davon wird sich die schmächtige Frau wohl nie erholen. Ich versuchte sie zu trösten und erzählte von Umoja und den Frauen, die dort Schutz suchen, und von den britischen Soldaten, die Frauen vergewaltigten, obwohl in Kenia kein Krieg herrscht.
Mit weit geöffneten Augen hörte sie uns zu. »Gott sei Dank gibt es hier keine Beschneidung«, meinte Marenzi. »Dennoch,
wenn man uns hier schützen wollte, müsste man gleich eine ganze Stadt gründen, so groß wie Bukavu«, sagte sie niedergeschlagen. Wo wollte man hier anfangen? All das Leid. Es nahm kein Ende.
Die Gespräche wühlten mich auf. »Für die Opfer ist es wichtig, über das Schreckliche zu reden«, sagte die kongolesische Sozialarbeiterin. »Die Frauen müssen das Erlebte irgendwie verarbeiten. Sonst grübeln sie die ganze Zeit und gehen dabei vor die Hunde«, erklärte sie uns. »Es tut ihnen gut, dass ihr sie besucht und euch mit ihnen ausgetauscht habt. Euer Mut gibt ihnen vielleicht Kraft, sich wieder aufzurichten.« Sie staunte, dass wir ein eigenes Dorf gegründet hatten und unseren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Perlenketten finanzierten. »Ihr müsst euch gegenseitig unterstützen«, rieten wir den Frauen. »Nur so könnt ihr euch über das Schreckliche hinwegsetzen. « Voller Bewunderung hörten die Kongolesinnen zu, wie wir uns gegen unsere Männer behaupteten. Neben all den anderen Aktivistinnen fielen wir Samburu-Frauen nicht nur durch unsere Kleidung auf, sondern auch durch unsere praktische Art, die Dinge anzugehen.
Das Einzige, das Marenzi am Leben hielt, waren ihre Kinder. Jedes Mal, wenn sie ihre Tochter anschaute, müsse sie weinen, erklärte sie mir. Sie wünschte sich, diese Gräueltat ungeschehen machen zu können. Im Augenblick könne sie sich noch nicht vorstellen, damit zu leben. »Aber eines Tages wirst du es können«, versicherte ich ihr. »Du wirst es tun, für deine Tochter. « Sobald die Frau so weit wäre, wollten die Sozialarbeiter versuchen, eine kleine Beschäftigung für sie zu finden. Doch jetzt musste sie erst einmal ihren Lebenswillen wiederfinden, wie so viele Frauen, die am Straßenrand Gemüse, Lebensmittel oder Haushaltswaren verkauften. Mit Mikrokrediten von umgerechnet vierzig oder fünfzig Euro hatten sie den Neuanfang geschafft. Die meisten waren Bürgerkriegsflüchtlinge und ernährten ganze Familien. Sie waren in diesem Krieg zur
Zielscheibe geworden, weil mit ihnen die ganze Gesellschaft zerstört werden sollte. Gewalt gegenüber
Weitere Kostenlose Bücher