Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
überschwänglich für die Menschlichkeit, die wir ihnen entgegenbrachten. Unsere gemeinsame Sprache Suaheli erwies sich als ein Segen. Einige Kongolesinnen schütteten uns gleich ihr Herz aus, erzählten mit sorgenvollen Gesichtern von dem Leid, das die Milizen ihnen zufügten. Es schien so, als hätten sie eine Ewigkeit auf diese Begegnung gewartet. Endlich hörten ihnen Frauen aus einem anderen Teil Afrikas aufmerksam zu. Sie waren zu Tränen gerührt.
Eine herzlichere Begrüßung hätte ich mir gar nicht wünschen können. »Geht nur«, riefen sie. »Zeigt es den Soldaten da drüben.« Wir wurden von kongolesischen Grenzbeamten in ein kleines, dunkles Büro gebeten. Einige der Frauen hatten keine Visa. Nach ein paar Telefonaten stand fest, dass die Frauen einreisen durften. Madame Olive Lembe Kabila, die Gattin des kongolesischen Präsidenten, war Schirmherrin des internationalen
Frauenmarsches. Zähneknirschend mussten sie uns ziehen lassen, ohne Geld für die Visa zu bekommen. Eine Sonderregelung von höchster Stelle. Beatrice und ich waren noch ganz gerührt, als wir wieder in den Bus stiegen. Die Begegnung mit den kongolesischen Frauen hatte uns aufgewühlt.
Beatrice nahm seit Tagen Malariatabletten, um die Schübe, die sie seit vier Nächten hatte, zu unterdrücken. »Jetzt geht es mir gleich besser«, erklärte sie mir beschämt. »Wenn man diese Frauen sieht, dann sind unsere Probleme doch wirklich nichtig. Ihnen geht es so viel schlechter als uns.« – »Lasst uns ihnen etwas von unserer Kraft geben«, schlug ich vor. Sofort stimmten wir im Bus ein Lied über Afrikas starke Frauen an. Binnen kurzer Zeit bebte der rote Kampala-Express und unser lauter Gesang schallte über den ganzen Markt von Bukavu, als wir durch die Kreishauptstadt rollten. Sofort horchten die Marktfrauen auf und sangen mit, nachdem sie für einen Moment staunend auf das laute knallrote Gefährt mit der kenianischen Flagge gestarrt hatten. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Ein Bus voller grölender Kenianerinnen mit Kopftüchern und Vuvuzelas in den kenianischen Nationalfarben. Die Männer guckten skeptisch. Die Frauen tanzten gleich los. »Bukavu gehört uns«, schrien die Händlerinnen plötzlich über den Marktplatz, bevor der rote Bus in Richtung Kivu-See abbog und uns zu unseren Unterkünften im Kulturzentrum Amani brachte.
Auch dort wurden wir äußerst herzlich begrüßt. Als wir singend aus dem Bus stiegen, kam im Frauencamp Stimmung auf. Die Delegierten aus Pakistan, den USA, Kanada, Liberia und Mali waren sich einig. »Euch kann wohl so schnell nichts erschüttern«, riefen sie uns zu. Obwohl wir die letzten drei Tage und Nächte im Bus und an der Grenze verbracht hatten, kamen wir in bester Laune im Camp an. »Von euch können wir lernen«, meinte Laurel, eine amerikanische Delegierte. »Ihr werdet den Kongolesinnen guttun.« Lautes Gelächter.
Auch wenn die letzten Monate hart waren: Alles, was ich gemacht hatte, ergab in diesem Moment endlich einen Sinn. Wenn ich auf meine Mitstreiterinnen und die Frauen aus aller Welt blickte, spürte ich, dass es richtig war, sich aus den traditionellen Fesseln zu befreien. Wenn mich mein Mann nicht aus meinem Dorf getrieben hätte, hätte ich diese Frauen nie kennengelernt und säße jetzt nicht hier als kenianische Delegierte, um mich für die geschundenen Frauen des Ostkongo einzusetzen. Die Erfahrung mit den Vergewaltigungsopfern in Umoja gab mir die Möglichkeit, den Kongolesinnen Wege aufzuzeigen, die wir selbst einst beschritten hatten.
In den nächsten Tagen führte ich viele Gespräche mit Frauen, die immer wieder ähnlich brutale Geschichten erlebt hatten. Entweder waren sie von Regierungssoldaten oder von Milizen vergewaltigt worden. Wenn sie Glück hatten, konnten sie ihre Töchter davor bewahren, aber oft nicht. »In unseren Dörfern können wir nicht bleiben«, erzählte mir eine zwanzigjährige Mutter. »Unsere Männer und Familien wollen nichts mehr von uns wissen. Wo sollen wir hin, wenn uns keiner Schutz gibt?« Also hausten sie in den Hängen rund um Bukavu. Die Provinzhauptstadt wollte keine Flüchtlingslager. Deshalb tauchten immer mehr Frauen in eilig zusammengebauten Bretterverschlägen unter, wenn ihre Familien sie verstoßen hatten. Aus Scham schwiegen sie, begruben ihre fürchterlichen Erfahrungen in ihren Herzen. Selbst die Nachbarn durften nichts von ihrem Schicksal wissen. Sie wollten keine »geschändeten Frauen« in ihrer Mitte leben lassen. Es
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