Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Frauen war in den fünfzehn Jahren Krieg zum Alltag geworden, so unsere traurige Erkenntnis nach vier Tagen im Ostkongo. Die Männer hatten gelernt, dass sie sich ungestraft holen konnten, was sie wollten.
Langsam rückte der große Tag, auf den wir alle gewartet hatten, näher: Der Marsch durch Bukavu. Im letzten Jahr waren erstmals die Vergewaltigungsopfer selbst auf die Straßen von Bukavu gegangen, berichtete mir eine Frau. Das hatte es im Krisengebiet Ostkongo noch nie gegeben. Zwar demonstrierten auch damals nur ein paar Hundert Frauen, aber es war der Anfang einer Friedensbewegung der Opfer. Jetzt sind es Tausende Frauen aus aller Welt. »Stoppt die Gewalt«, forderten wir und schwenkten unsere Transparente, als sich die riesige Menschenmenge durch die mediterran anmutende Stadt am Kivu-See schob.
Inmitten Tausender Frauen, die alle bunte Shukas trugen, schrien wir uns die Seele aus dem Leib. Die Plakate waren so unterschiedlich wie die Verbände, aus denen die Frauen stammten. »Nein zum sexuellen Terrorismus« stand auf einem Spruchband, »Hilfe, wir gehen unter« auf einem anderen. Mein Körper vibrierte. Ich fühlte mich wie elektrisiert, als ich in einer Menschentraube zum Gouverneurssitz marschierte. Die feurigen Reden der Kongolesinnen dort rissen uns alle mit. »Die Täter müssen bestraft werden«, forderten sie. »Gebt den Frauen ihre Würde zurück, damit sie sich wieder erheben können, nach allem, was ihnen widerfahren ist.« Ich schaute auf die Frauen neben mir, auf Gewerkschafterinnen, Bäuerinnen, Politikerinnen und Unternehmerinnen, und war unendlich stolz, Afrikanerin zu sein. Jetzt gab es kein Zurück. Für mich stand fest: Ich werde in die Politik gehen. Ich werde mich der Herausforderung stellen.
Ich war noch völlig beseelt von der Kraft und der Macht, die ich in meinem Körper während des Marsches gespürt hatte,
als wir nach Kenia zurückkehrten. Voller Zufriedenheit traten wir die Heimreise nach Nairobi an. Zum ersten Mal empfand ich so etwas wie Freude beim Anblick der Hochhäuser, die auf einmal Stabilität und Sicherheit ausstrahlten. Ein wohliges Gefühl machte sich in mir bei dem Gedanken breit, dass ich mich als einfache Samburu-Frau vom Lande in dieser modernen Metropole durchgeschlagen hatte. Zum ersten Mal kam mir die Hochhauskulisse Nairobis mit den Versicherungen, Banken und Luxushotels nicht mehr bedrohlich vor. Ich, Rebecca Lolosoli, die Tochter des großen Samburu-Chiefs Ditan Lasangurikuri hatte hier meinen Platz gefunden. Ich hatte hart dafür gekämpft und ich würde weiterkämpfen. Es war noch längst nicht alles geschafft. Aber ich würde mich nicht unterkriegen lassen. Denn die nächste Etappe stand gleich an: mein Scheidungsprozess.
BIS DASS DER TOD UNS SCHEIDET
Ich konnte es kaum erwarten, nach Umoja zurückzukehren. Endlich hatte der sandfarbene Geländewagen, der einem Freund meines Sohnes gehörte, die dreckigen Vororte von Nairobi hinter sich gelassen und steuerte durch eine der größten Baustellen Kenias an chinesischen Ingenieuren und Bauwagen vorbei, die in rasender Geschwindigkeit die Straße ausbauten. Tom zeigte nach draußen auf das riesige Gelände der Kenyatta University, an deren gemauertem Steinbogen und kenianischem Wappen wir vorbeirauschten. »Ab hier gehörte das Land so weit das Auge reichte einer einzigen Familie, den Kenyattas«, erklärte er verbittert. »Wir Samburus müssen viel aufholen.« Bis heute hielten uns die Politiker in Nairobi für primitiv. Sie hatten uns abgeschrieben und glaubten, dass der Lebensstil der Nomaden sowieso dem Untergang geweiht sei. Sie hielten unser Land für eine Randzone, und das wollten wir ändern.
Ich war erstaunt über den Kampfgeist meines Sohnes. Er schien sich einiges von seinem Vater und mir abgeguckt zu haben. Im Augenblick investierte Tom viel Energie in sein Wirtschaftsforum im Internet. »Wir jüngeren Samburus wollen uns nicht mehr mit dieser Außenseiterrolle abfinden. Man hat uns immer von den Machttrögen fern gehalten. Damit muss Schluss sein«, sagte er. Seine Worte beeindruckten mich. »Dann verstehst du jetzt, mein Sohn, was mich antreibt«, entgegnete
ich. »Auch ich kämpfe für bessere Lebensbedingungen. Deshalb will ich in die Politik gehen. Ich werde bei den nächsten Wahlen für den Gemeinderat kandidieren.« Meine Worte verschlugen Tom die Sprache.
Gemächlich kurvten wir durch das regenreiche Hochland an den saftigen Feldern der Kikuyu-Bauern vorbei. Als plötzlich der
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