Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
gefüllt mit Teeblättern. In diesem Land wirkte alles perfekt geordnet und sortiert. Alles schien an seinem Platz. Wahrscheinlich war meine Sehnsucht nach Ordnung seit meiner Flucht besonders groß geworden. Ich wünschte mir, dass in meinem Leben auch wieder alles an seinem Platz wäre.
»Das liegt sicherlich daran, dass hier mehr Frauen im Parlament sind als in jedem anderen Land Afrikas«, spekulierte ich grinsend. Lucy stieß mir vielsagend ihren Ellbogen in die Seite und lachte. »Siehst du. Wann legst du endlich los? Es wird Zeit.« Lucy unterstützte mich seit vielen Jahren und versuchte mich schon lange zu überreden, in die Politik zu gehen. »Schau dir die sauberen Steinhäuser an. Hier liegt nirgendwo Müll«, staunte ich. In diesem kleinen, kompakten Land schien jeder strebsam seiner Arbeit nachzugehen. »Das müssen wir eines Tages auch hinbekommen«, wünschte sich Lucy. »Dann müsst ihr aber Wahlkampf für mich machen«, erklärte ich. Lucy fiel mir um den Hals. »Ich kann es kaum erwarten!« Zufrieden grinste sie mich an.
Die nächsten Wahlen für den Gemeinderat finden 2012 statt. Ich denke, ich werde mich als Gemeinderätin aufstellen lassen. Ich will dafür sorgen, dass es in Archer’s Post endlich eine Schule gibt, auf die auch Mädchen gehen dürfen.
Ich musste an zu Hause denken. Die Frauen im fernen Umoja waren mit dem Bau des Hühnerstalls etwas überfordert. Es sollte ein Steinhaus werden und für die Frauen, die sich
zwar im Bau von Manyattas aus Kuhdung bestens auskannten, bedeutete das Neuland. Die Handwerker und Steinelieferanten forderten mehr Geld. Immer wieder bekam ich kurze Textnachrichten. Die Frauen brauchten meinen Rat. Per SMS teilte ich ihnen mit, dass sie eine Anzahlung machen sollten. Ich würde mit den Männern verhandeln, wenn ich wieder in Kenia wäre. Dazu würde ich nach Umoja fahren müssen. Eine Reihe von Problemen war aufgelaufen. Auch mein Scheidungstermin stand bald an. Ich würde eine Stippvisite in mein geliebtes Frauendorf machen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Wenigstens eine Nacht wollte ich in Umoja bei den Frauen verbringen.
Doch jetzt ging es erst einmal nicht weiter mit unserer Reise – es war zu spät, um den Grenzübergang Gisenyi an der ruandisch-kongolesischen Grenze zu passieren. Die Zöllner waren um acht Uhr abends nach Hause gegangen, jetzt war es zehn Uhr. Also übernachteten wir in einer katholischen Mission in der Nähe des Schlagbaums. Wir waren jetzt seit zwei Tagen unterwegs, ziemlich erschöpft und dankbar, dass uns die katholischen Nonnen aufnahmen. In den kleinen, bescheidenen Zimmern schliefen wir sofort ein. Endlich konnten wir uns ausstrecken. Meine drei Samburu-Freundinnen und ich schätzten uns schon glücklich, nicht noch eine Nacht im Bus schlafen zu müssen.
Am nächsten Morgen zogen träge Nebelschwaden über die dichten Hänge des Nyungwe-Waldes. Der Wind wehte durch die langen braunen Bärte, die von den Wipfeln der Baumriesen herabhingen, als wir zu Fuß zur Grenze aufbrachen. Die Begrüßung auf der anderen Seite überwältigte uns. Noch etwas müde stiegen wir den Hügel zum kongolesisch-ruandischen Grenzübergang Rusizi/Gisenyi hoch. Wir stapften an UN-Containern vorbei, die die Welthilfsorganisation Tausende von Kilometer ins Land bringen ließ. Für den Preis, den der Transport dieser Container kostete, hätte man ein ganzes Dorf
bauen können. Wir gingen weiter. Wie Vorboten des Krieges saßen Kriegsgeschädigte in Rollstühlen und auf selbst gebauten Rollwagen unter einem großen Feigenbaum. Da sie als Kriegsversehrte keine Steuern zahlen mussten, profitierten sie vom Grenzverkehr.
Dahinter hockte eine Gruppe Kongolesinnen mit Bananenstauden und Holzkohle. Sie warteten auf die Öffnung der Schranke, um ihre Waren ins Krisengebiet hinüberzutragen. Sie kauften ihre Waren im bürgerkriegfreien Ruanda ein und verkauften sie dann mit Gewinn im bürgerkriegsgeschüttelten Ostkongo, wo alles teurer und knapper war. Als sie uns Kenianerinnen erblickten, standen sie auf. »Was macht ihr denn hier?«, fragten sie auf Suaheli. Ich war erstaunt, dass sie unsere Sprache sprachen. »Wir sind hier, um euch zu besuchen. Wir wollen euch helfen und werden für euch durch Bukavu marschieren«, antwortete ich auf Suaheli. Ein Freudenschrei schallte durch das Tal. Die Kongolesinnen begannen zu singen und zu tanzen. Einige von ihnen weinten hemmungslos. Sie fielen mir und den anderen Frauen um den Hals und bedankten sich
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