MAMMON - Für Deine Sünden wirst Du büßen (German Edition)
so anfühlte, als wäre das Metall des Nagels mit dem Holz verschweißt. Ungezählte Drehungen waren nötig, bis seine Ausdauer endlich belohnt wurde. Der Nagel lockerte sich. Unter gewaltiger Anstrengung wiederholte Adrian den Vorgang mit weiteren Nägeln.
Als er zwei Plattenseiten so weit gelockert hatte, dass sie sich etwas anheben ließen, legte Adrian sich auf die Seite und rammte seine rechte Schulter gegen das Holz der Deckplatte. Nichts. Er wiederholte es. Voller Verzweiflung musste er feststellen, dass es nicht reichte, um die Platte aufzusprengen.
„Violetta?“, fragte er vorsichtig.
„Ja“, hauchte sie leise.
„Wir können hier vielleicht rauskommen, aber ohne deine Hilfe schaffe ich es nicht.“
Es dauerte eine Weile, bis Violetta sich sammelte. Plötzlich fuhr ein Ruck durch ihren Körper, als wäre sie sich der Todesgefahr bewusst geworden.
„Was soll ich tun?“, fragte sie.
„Wir müssen uns auf meiner Seite aneinanderpressen.“
Violetta drückte seine Hand und rückte wieder dicht an ihn heran.
„Ich zähle, dann drücken wir mit vereinten Kräften gegen diese Stelle hier …“ Adrian klopfte gegen das Holz.
„Mhm …“
„Eins … zwei … drei!“
Sie warfen sich dagegen, und die Platte knarzte, wobei die Nägel rasselten wie eine verrostete Fahrradkette. Violetta seufzte tief, während Adrian sich die schmerzende Schulter rieb.
„Das reicht noch nicht“, stellte Adrian fest.
Violetta nickte und sog frische Luft ein, die durch den kleinen Spalt hereindrang.
Nach einem Dutzend weiterer Versuche öffnete sich der Spalt weiter. Sofort flutete die junge Morgendämmerung in das Gefängnis wie ein Hoffnungsstrahl, um die Schrecken zu vertreiben. Noch war die Öffnung viel zu klein, um hinauszusteigen, doch sie gab ihnen größere Bewegungsfreiheit bei dem, was noch zu tun war. Adrian konnte nun kraftvoller zustoßen und vor allem die geschwächte Violetta schonen.
„Ruh dich aus, den Rest mache ich allein.“ Ihren Protest schob er mit einer Handbewegung beiseite.
Adrian von Zollern begann erneut, sich mit der Schulter dagegenzuwerfen. Holz splitterte, bis sich die Platte endlich von der Kiste löste. Zum ersten Mal seit sie eingesperrt waren, lächelte er.
Während sie aus der Grube kletterten, sahen sie, wie im Haus das Licht anging. In Windeseile verschaffte sich Adrian einen Überblick über das Gelände. Dann zog er Violetta zum Wald, bevor die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages ihre Flucht verrieten.
New York, vor einiger Zeit
Mit der Erpressung Dr. Spiglars beschloss Braulio, die nächtlichen Erzählungen einzustellen. Eine letzte Episode noch, dann sollte Schluss sein. Als er in der folgenden Nacht mit Yasuhiro Atakamo zusammensaß, sagte er: „Du weißt mehr über die Gruppe als sonst irgendein Außenstehender. Nun muss ich mich auf die Erlösung konzentrieren. Ich habe keine Zeit mehr für die Erzählungen.“
Yasuhiro nickte.
„Die letzte Geschichte handelt von einer Bestrafung im 18. Jahrhundert.“
England, Mitte des 18. Jahrhunderts
Bevor Indien zu einer formellen Kronkolonie des britischen Königreichs unter Königin Victoria wurde, war es der Willkür weniger Männer ausgesetzt. Einer dieser Männer, Sir David Walsington, entstammte einer traditionellen britischen Dynastie, die es über Jahrhunderte hinweg schaffte, sich im Direktorium der East India Company einzunisten. Die männlichen Erben dieser Dynastie trugen maßgeblich zu Not und Elend großer Teile der akquirierten Gebiete Indiens bei. Sie errichteten ein umfassendes System der Unterdrückung und Versklavung. Sir David Walsington und seine Vorgänger hatten alle Krisen der Gesellschaft durchgestanden, bis man diesem System aus Vetternwirtschaft und Korruption schließlich ein Ende setzte.
In mehr als zweihundertfünfzig Jahren ihrer Existenz machte sich die East India Company zahlloser Vergehen im Sinne des Schwurs schuldig. Dabei war der schwerwiegendste Anklagepunkt, dass die Steuer- und Preispolitik der Gesellschaft mit schuld war an den zehn Millionen Toten der bengalischen Hungersnot im 18. Jahrhundert. Denn die Menschen mussten hohe Grundsteuern an die Besatzer zahlen und erhielten nur einen Spottpreis für ihre Produkte, bevor die Güter nach Europa verschifft wurden.
Fast die Hälfte der Einwohner Bengalens starb damals einen grausamen Tod. Außerdem lieferte die East India Company gewaltige Mengen Opium, insbesondere nach China. Nachdem die britische Krone die Gesellschaft
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