Man Down
Schuld. Dass ich in der Scheiße stecke, ist nicht meine Schuld. Wenn ich gehe, haben die gesiegt, die mein Leben ruiniert haben. Wenn ich gehe, tanzen sie auf meinem Grab. Der einzige, der auf meinem Grab tanzen darf, bist du.
***
Ich stieg in der Silberhornstraße in die überfüllte U2 Richtung Marienplatz, überlegte mir, ob ich Shane um Marions Handynummer bitten sollte, als eine Station weiter, am Kolumbusplatz, Burcak zustieg. Sie nahm mich erst nicht wahr, ich musste mehrmals ihren Namen rufen, sie drängte sich zu mir durch, umarmte mich und drückte mir nen dicken Schmatz auf die Wange.
„Ich habe die Stelle“, sagte sie.
„Und ich hab mich verliebt.“
„Ich bin jetzt Mitarbeiterin in einer der besten Anwaltskanzleien Münchens“, sagte sie leise und ihre Augen wurden zu Schlitzen, weil ihr ganzes Gesicht aus einem einzigen glücklichen Lächeln bestand. In ihrer Aufregung schien sie gar nicht gehört haben, was ich gesagt hatte.
„Wow“, sagte ich und schnalzte mit der Zunge.
„Naja. Eigentlich bin ich ja nur die Sekretärin, aber was soll’s? Ich verdiene wie eine Chefin und muss nicht länger im Supermarkt Regale einräumen.“
Ich bekam noch einen Schmatz und wusste nicht, ob ich mich wirklich freuen sollte oder nicht. Bald würde sie ein Auto haben und nicht mehr mit mir in den dreckigen U-Bahn-Waggons zwischen all den schwitzenden, schmatzenden, lachenden, schimpfenden, quatschenden Menschen eingepfercht sein. Bald würde sie mit Yuppies nach Büroschluss essen gehen und Cocktails schlürfen und mich und Shane vergessen haben.
Burcak sprudelte los, aber ich verstand nur Bahnhof. Ich hatte mir was eingeschmissen und war gar nicht richtig bei mir. Ich versuchte mich zusammenzureißen, aber Burcak checkte sofort, dass ich in höheren Sphären tingelte.
„Du siehst irr aus.“
Ich sah ihr in die Augen, mit der besten Unschuldsmiene, die ich hatte.
„Ey, Kai!“
„Ich bin jung, Burcak.“
„So wirst du nicht alt.“
„Ich hab das unter Kontrolle, ehrlich.“
Burcak seufzte. „Hat das Geld wenigstens gereicht?“
„Welches Geld?“
„Na, von der Firma.“
Ich kratzte mich verlegen an der Nase. „Ich hab es nicht bekommen.“
„Das darf doch nicht wahr sein!“
„Keinen Cent.“
„Die vertrösten dich jetzt schon seit Monaten. Du musst dich endlich wehren!“
„Ich werde es gar nicht bekommen.“
„Das ist jetzt ein Witz, oder?“
„Der Meyer hat Insolvenz angemeldet. Der sperrt zu.“
„Na und? Der muss dir deinen Lohn ausbezahlen. Es muss doch einen Ausgleich geben.“
„Ich war letzte Woche beim Meyer, aber das Gelände war verriegelt, das Büro versperrt, alles wie ausgestorben. Die Fahrzeuge, die Werkzeuge, die Gerüste alles weg. Wahrscheinlich hockt der Meyer längst in seinem Bungalow auf Ibiza.“
„So schnell geht ein Konkurs nicht durch“, sagte sie. „Der kann nicht einfach so davon.“
„Leute wie Meyer können alles, Burcak. Die Meyers, die grasen alles ab, und wenn sie die Gegend kahl gefressen haben, ziehen sie weiter.“
„Jammer nicht, sondern wehr dich!“, sagte sie, und ich konnte sehen, wie es in ihrem Köpfchen arbeitete, ich wollte etwas sagen, wollte sie ablenken, aber ich war zugedröhnt, ich konnte meinen Mund nicht bewegen.
„Moment“, sagte sie. „Wie hast du denn jetzt …?“
„Ach, Burcak …“, sagte ich.
„Oh nein!“
„Es ist nur Gras, Burcak.“
„Ich hasse dich.“
„Es ist nur Gras.“
„Ich hasse dich.“
„Ich hab nix mit Koks oder so, Burcak, ich schwör. Es ist nur Gras!“
Burcak schob ihr Kinn vor, trotzig. Sie starrte aus dem Fenster, dabei gab es da draußen nur die Dunkelheit des U-Bahn-Schachtes. Jemand hatte sämtliche Kippfenster aufgerissen, es zog und der Zug dröhnte. Nach dem Halt im Bahnhof gab es freie Sitzplätze und wir setzten uns.
„Ich hätte dir das Geld geliehen“, sagte sie leise. „Ich hätte dir das Geld gegeben. Aber du? Du Idiot schmuggelst lieber Drogen!“
„Ich mach das nicht lange. Ich find nen Job. Ich hab bald wieder Kohle.“
„Drogenschmuggeln ist kein Kavaliersdelikt.“
„Ich schmuggle keine Drogen.“
„ Keine Drogen?!“
„Das bisschen Gras, das kann man doch nicht Drogen nennen! Oder willst du behaupten, die ganze Welt sei drogensüchtig? Ey, Burcak! Die ganze verdammte Welt kifft!“
„ICH KIFFE NICHT!“ , schrie Burcak, und alle Fahrgäste um uns herum glotzten uns an. Aber sie sprach kein bisschen leiser, als sie sagte: „Meine
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