Man Down
fünfzehn Zentimeter, aber ich stand sicher.
Ich spürte den Wind, die Sonne, das Eisen auf meiner Haut.
Ich würde nicht untergehen.
Ich würde es schaffen.
Die beiden standen jetzt hinter mir, und ich glotzte in den Abgrund. Es gab keine Menschen dort unten, nur einen Parkplatz mit Autos so groß wie kleine Panzer.
„Ich habe mir den Arsch aufgerissen. Jeden verdammten Tag. Ich habe geschuftet, damit sich der Meyer nen neuen BMW , sein Ferienhaus auf Ibiza und seinen Fickurlaub in Kuba leisten kann, und jetzt behandelt er mich wie Dreck.“
„Kai“, sagte Burcak, aber mehr sagte sie nicht, denn ich machte mich da draußen auf den Weg zum nächsten Büro.
Ich hatte keine Furcht vor der Tiefe wie in meinem Träumen. Keine Angst vor einem Sturz. Ich fühlte mich frei, ich war wieder da, wo ich hingehörte.
Im Büro nebenan öffnete mir eine schockierte Frau, die aussah wie ne Sekretärin in nem billigen Porno, und irgendwie passte das sogar, irgendwie war dieses ganze verfickte Leben doch auch nichts anderes als n billiger Porno. Gott holte sich bestimmt einen runter, während er zusah, was wir da trieben. Begeilte sich an dem Schlachten und Lieben, Lachen und Weinen, an dem Blut, Dreck, Sperma, dem ganzen Wahnsinn.
„Was machen Sie da?“
„Der Welt beweisen, dass ich wieder auf einem Dach arbeiten kann.“
Sie starrte mich an, ich verabschiedete mich mit einem Lächeln und einem Handkuss und ging durch die Tür zurück in Rensings Büro.
„Das geht aber nicht!“, rief sie mir nach.
Rensing und Burcak standen beide am Fenster, sie drehten sich gleichzeitig um, als ich hereinmarschiert kam. Ich setzte mich auf den Stuhl, als wäre nichts geschehen.
Wenzel sah Burcak an, sein Blick sagte alles.
Er ging zu seinem Schreibtisch, kramte in irgendwelchen Unterlagen und tippte was in seinen Laptop. Burcak setzte sich neben mich und betrachtete ihre Hände. Dann fing sie an zu heulen, ganz kurz nur, aber heftig.
„Sorry, Burcak.“
„Arschloch“, zischte sie leise. „ Du Arschloch! “
„Mein Gott, Herr Samweber“, sagte Rensing, ohne den Blick von den Unterlagen zu wenden. Er zündete sich eine Zigarette an, um sie gleich danach wieder auszudrücken. „Mein … Gott ...“
Ich sah mich um. Auf einem Foto auf seinem Schreibtisch: Er und seine Vespa. Im Anzug. Ohne Helm. Lächelnd.
„Ist das eine Lambretta?“
Er starrte mich wütend an.
„Auf dem Foto!“, sagte ich.
„Ja“, sagte er und schnappte nach Luft. „Das ist eine Lambretta.“
„Innocenti Lambretta 1969. 200 cm³, 12 PS .“
Rensing nickte und öffnete den Mund, brachte aber kein Wort heraus.
„N Kumpel von mir hat auch so n Ding. Nur in ner anderen Farbe.“
Ich sah, dass Rensings Hände zitterten. Er räusperte sich und holte tief Luft. Sein Puls war immer noch auf 100. „Für wen haben Sie gearbeitet?“
„Für den Meyer Fritz.“
„Aus Giesing?“
„Jep.“
Rensing kratzte sich an der Nase und lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Sie haben für den Deckerfritz gearbeitet?“
„So nennen ihn seine Freunde, ja.“
Rensing zog die rechte Augenbraue hoch und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„Kennen Sie ihn?“, fragte ich.
„Nur flüchtig“, sagte Rensing und winkte ab. Ich wusste, das war gelogen, aber es war mir egal. Wahrscheinlich hatte er den Meyer in Flensburg rausgeboxt. Meyer sammelte jedes Wochenende fleißig Punkte, mal fuhr er besoffen, mal zu schnell, meistens beides gleichzeitig, aber er schaffte es jedes Mal, seinen Führerschein zu behalten. Nur einmal musste er für eine Woche nach Tschechien fahren, um sich einen neuen ausstellen zu lassen. Meyer war eine Ratte, er fand immer ein Schlupfloch, er ließ seine Vorarbeiter die Giftköder kosten, um lächelnd mit seinen schmutzigen Füßen über die Leichen zu steigen. Meyer hätte locker nen Atomkrieg oder Meteoriteneinschlag überlebt, so einer wie der war nicht totzukriegen.
Dann begann Wenzels Kreuzverhör: „Meyer persönlich hat Ihnen also gesagt, Sie dürften sich nicht sichern?“
„Nein, der Vorarbeiter.“
„Wann hat er das gesagt? Am selben Tag? Vor Beginn der Arbeiten, als Sie bei der Firma angefangen haben?“
„Als wir im Schloss angefangen haben zu arbeiten.“
„Das war an dem Tag, an dem Sie vom Dach stürzten?“
„Nein, der Unfall geschah erst in der neunten oder zehnten Woche.“
„Er sagte: Angegurtet wird nicht?“
„Irgendwer fragte ihn, ob wir uns nicht angurten müssten, und er
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