Man Down
verprügeln lassen, damit du wieder ne ordentliche Dosis kriegst?“, fragte Shane.
„Nur deshalb“, sagte ich. „Hier kriegst du das beste Zeug. Das beamt dich weg, Shane, ich schwör.“
„Wie lange musst du hier bleiben?“, fragte Burcak.
„Drei Tage, meint der Doc.“
„Mit dem Kopf alles in Ordnung?“
„Den kriegt keiner kaputt. Der ist schon mal vom Dach gefallen, der hält alles aus.“
„Du siehst schlimm aus“, sagte sie.
„Du siehst scharf aus“, sagte ich, und dieses Mal gelang mir das Lächeln, auch wenn es wehtat.
Und wieder ein Krankenhauszimmer. Wieder dieser Geruch. Diese Geräusche. Die Angst vor diesen endlosen Stunden in der Nacht, in denen ich wach liegen werde. Als Burcak und Shane zur Tür rausgehen, zerreißt es mir das Herz. Ich humple zum Fenster und hoffe, sie noch zu sehen, aber da draußen ist niemand. Da draußen steht nur eine Laterne, deren Licht nervös flackert. Ich möchte nicht hier sein. Ich möchte nicht alleine sein. Ich habe so eine Sehnsucht in mir und weiß nicht, nach wem oder was. Weiß nicht, wie ich sie stillen kann. Weiß nicht, wie ich diese Nacht überstehen soll.
Ich lege mich zurück ins Bett, decke mich bis zum Hals zu, setze die Kopfhörer auf und höre meine Musik. Ich lasse mich treiben von dieser Sehnsucht, so wie ich mich früher auf der Luftmatratze im Sommer den Bach hinuntertreiben ließ und Angela mir immer nachrief: „Nicht zu weit, sonst kommst du nie mehr zurück!“
Ja, ich weiß, wenn ich mich zu weit treiben lasse, komme ich in eine neue Welt, aber ich weiß auch, es würde keine Welt ohne Schmerz und Einsamkeit sein. Es gibt andere Welten, aber keine besseren.
***
Zwei Wochen lang spukte der Name in meinem Kopf herum.
Precious_ 19.
In der Nacht wachte ich auf, und ich las den Namen auf der Zimmerdecke:
Precious_ 19.
Im Supermarkt sagte ihn die Kassiererin über den Lautsprecher:
Precious_ 19.
Ich konnte das Wort von den Lippen einer Oma in der U-Bahn ablesen:
Precious_ 19.
Die Tage und Nächte waren zäh und klebrig.
Ich vermisste sie.
Sie ist ne Nutte, hatte Rugby gesagt.
Und ich vermisste sie.
So n verdammter Kiffer wie Rugby hatte sie beleidigt.
Und ich vermisste sie.
Und wenn sie wirklich diese verfluchte Schlampe Precious war.
Scheißegal.
Ich vermisste sie.
Oft saß ich vor Shanes Computer und wollte ihre Seite anklicken, aber ich brachte es nicht über’s Herz. Ich wollte sie anrufen und zur Rede stellen, aber jedes Mal schmiss ich das Handy in die Ecke, sobald ich auf Anruf gedrückt hatte. Insgeheim hatte ich ja gehofft, sie würde mich anrufen, würde eine SMS schicken, aber sie meldete sich nicht. Sie meldete sich nicht. Und ich würde mich nicht bei ihr melden. Ich wollte cool sein, Precious_ 19 vergessen. Aber sie ging mir nicht aus dem Kopf. Ich wollte cool sein und über sie lachen. Ich wollte die Schlampe verachten. Aber die ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.
Jeden Nachmittag baute ich mir nen fetten Joint, zündete ihn an und setzte mich ans Fenster. Manchmal soff ich auch ne Flasche Wodka, ein paar Bier oder warf mir Pillen ein. Clean blieb ich nie. Ich war jeden Tag high.
Die Drogen machen dich einsam. Du glaubst, sie würden dich lebendig machen, dich alles intensiver spüren lassen, aber sie machen dich nur einsam. Das Leben wird gedämpft, deine Gefühle werden gepolstert, die Menschen verschwinden, sie sind da und doch längst weg, sie sind Geister, sie können dich nicht mehr berühren, nichts ist echt und wahr, außer dem Kater am Morgen, alles ist verschwommen und unwirklich, du bist nicht wach, dabei möchtest du doch nichts als einmal wirklich wach sein … einen Augenblick da sein. Du willst mit dem Stoff das Leben wieder spüren, aber du verlierst dich nur selbst. Du verlässt deine Wohnung nur noch selten, du weißt gar nicht mehr, wie ein Baum aussieht, hast keine Ahnung, dass da überhaupt ein Himmel ist, ein Himmel mit Sonne und Wolken, dass da Mädchen sind, jung und hübsch, mit einem Lächeln, das dir einen ganzen Tag retten kann, du bist ja schon tot, begraben in einer Unterwelt. Fick die Drogen, ich fange an, sie zu hassen. Du weißt, ich bin kein verdammter Sozialpädagoge, ich bin auch nicht bei der verschissenen Jungen Union oder sonst so einem katholischen Scheißverein. Aber manchmal komme ich an den Punkt, wo ich einfach nur aussteigen möchte, weil ich zu tief drin stecke. Und jetzt ist da auf einmal so ein verdammtes Wunder wie Marion. So ein Mädchen,
Weitere Kostenlose Bücher