Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Man Down

Man Down

Titel: Man Down Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Pilz
Vom Netzwerk:
du nicht cool bist, wenn du n Opfer bist – dann kriegst du nicht mal eine von denen, die sonst keiner will.
    Scheiße, ja. Ich konnte einfach nicht raus aus meiner Haut. Ich wollte, aber ich war gefangen. Ich tat, was ich tun musste. Ich musste mit den anderen über Dich lachen, ich musste Dich mit den anderen schubsen, ich musste Dir die kalte Schulter zeigen, wenn Du mich um Hilfe batest. Ich bin aus dem Bus gestiegen, der uns zur Schule brachte, und Dir davongerannt, damit Du Dich nicht an mich hängen konntest.
    Ich war ein Dreckschwein, Florian.
    Aber was sollen all die Worte jetzt? Worte sind für’n Arsch. Sind nur Dreck. Worte können nichts ungeschehen machen.
    ***
    Der Heimleiter lächelte, wenn man ihm begegnete, aber er hätte auch gelächelt, wenn man in der Nacht zuvor seiner Frau ins Gesicht gespritzt hätte, denn sein Lächeln sollte ihm Stimmen bei der nächsten Wahl garantieren, und diese Stimmen waren alles, was zählte in seinem scheiß Leben. Natürlich hatte er auch einen schweren Stand als Leiter dieses Studentenheims. Er konnte die Rädelsführer nicht so einfach rausschmeißen. Die rannten sofort zu irgendwelchen juristischen Beratungsstellen an der Uni, drohten mit Klagen oder schrieben Artikel über die Zustände im Heim. Das war gefährlich für den Ruf eines Mannes, der an seine politische Karriere denken musste – und an seine Geliebte. Wenn er zu rigoros durchgriff, hatten wir Violetta auf unserer Seite, und sie bestrafte ihn mit Sexentzug. Andererseits verursachten die Partys schwere Schäden. Einmal legte Senf mit dem Feuerwehrschlauch im Gang den gesamten zweiten Stock unter Wasser. Das Wasser stand etwa 20 Zentimeter hoch, sickerte durch den Boden und lief im ersten Stock die Wände runter. Ein anderes Mal gingen zwei Glastüren im ersten Stock zu Bruch, weil Gugl einem Typen einen Bodycheck verpasste, eine Woche später wurden sämtliche Feuerlöscher geklaut, mehrere parkende Autos demoliert und ein Küchentisch aus dem Fenster geschmissen. Nicht selten wurden auch Passanten auf der Straße provoziert. Eine Keilerei mit einer Gruppe von Südtiroler Bayern-Fans konnte von der Polizei erst nach einer halben Stunde aufgelöst werden.
    Irgendwann resignierte der Heimleiter. Er verhandelte nicht länger mit Rugby, dem Heimsprecher, oder Gugl und Senf, den anderen beiden Heimvertretern. Er sprach nur mehr über Aushänge auf der Pinnwand neben der Lifttür im Erdgeschoß. Ein Verbot jagte das nächste. Die beiden Terrassen in Stock 1 und Stock 3 wurden geschlossen. Alles, was nicht zum offiziellen Inventar der Küche gehörte, wie der Fernseher und der provisorische Kühlschrank, wurde in einer Blitzaktion entfernt. Die Türen zu den Terrassen wurden verriegelt. Heimfremde Personen hatten das Haus bis spätestens 22 Uhr zu verlassen. Selbstverständlich hielt sich kein Schwein daran.
    Die Küche wurde schließlich gesperrt, geschlossen blieb sie allerdings nur für wenige Stunden. Die Heimvertretung hatte mit Klage gedroht.
    „Das ist ein Irrenhaus“, sagte Marion, die ein T-Shirt im Waschbecken in ihrem Zimmer wusch. „Aber ich lebe lieber in einem Irrenhaus als auf einem Friedhof.“
    „Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass einer von den Chaoten die Uni abschließen soll.“
    Sie schrubbte das Teil energischer, als es notwendig gewesen wäre. „Unterschätze die Leute hier nicht. Es gibt welche, die knallen sich drei-, viermal die Woche die Birne voll, aber sonst sitzen die brav in den Vorlesungen und lernen auch fleißig auf die Prüfungen.“
    „Und der Mann im Schafsfell?“
    „Auch der macht seinen Abschluss. Irgendwann.“
    „Gugl hat 18 Jahre gebraucht“, sagte Nelly, die vor ihrem Laptop saß. Auf dem Tisch standen mehrere Dosen Red Bull. „Aber in zwei Monaten hat’s sogar er geschafft.“
    „18 Jahre …“
    „Inklusive Doktoratsstudium.“
    „18 Jahre. Fuck! Wenn er hier auszieht, kann er gleich ins Altersheim nebenan.“
    „Im Wintersemester wollte er an einer Exkursion in die Schweiz teilnehmen. Er stieg mit drei Kumpels in das Auto eines Professors seines Instituts, und der drehte sich um und sagte zu ihm: „Entschuldigen Sie. Ich kann Ihr Gesicht jetzt gar nicht zuordnen. Studieren Sie auch Chemie?“
    „Oh shit.“
    „Nelly kann das nicht passieren“, sagte Marion. „Sie kennt jeder. Sie ist das Wunderkind am Institut.“
    „Wenn ich morgen durchfalle, ist’s vorbei mit dem Wunder.“
    „Prüfung?“
    Sie nickte. „Und keinen Plan.

Weitere Kostenlose Bücher